4 Mio. Russen haben bisher das Land verlassen - Russland will israelische Auswanderungsbehörde auflösen
Do., 18. Aug. 2022

Moskau befürchtet einen “Braindrain”, wenn zu viele jüdische Bürger Russland in Richtung Israel verlassen. Das Justizministerium strebt daher die Schließung der russischen Niederlassung der Jewish Agency for Israel an. Ein Gericht wird nun darüber entscheiden. Die Beziehungen zwischen Russland und Israel waren selten so angespannt.
Trotz hochrangiger Telefonate droht dem russischen Zweig der Jewish Agency for Israel die Zwangsschließung.
In beiden Ländern wird darüber spekuliert, was hinter dieser Entwicklung stecken könnte.
Die russischsprachige Abteilung des britischen Senders BBC berichtete im Juli über ein 20-seitiges Dokument mit einer Liste angeblicher Unregelmäßigkeiten, das das russische Justizministerium im Juni an die Jewish Agency geschickt hatte.
Nach Angaben einer anonymen Quelle bei der Jewish Agency in Russland gab es zwei Hauptkritikpunkte:
- dass persönliche Daten russischer Bürger gesammelt und ins Ausland geschickt worden seien
- und dass die Jewish Agency die Abwanderung von Fachkräften aus Russland fördere, indem sie einigen der am besten qualifizierten Arbeitskräfte des Landes helfe, das Land zu verlassen.
Ein Mitarbeiter der Jewish Agency wurde mit den Worten zitiert, das Ministerium habe gesagt, dass sich dies “negativ auf die Wirtschaft und die Aussichten der Russischen Föderation” auswirke.
Offiziellen Statistiken zufolge haben im ersten Quartal 2022 rund 4 Millionen Russen das Land verlassen, was russischen Medien zufolge einem Anstieg von 46 % gegenüber dem Vorjahr entspricht.
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Hintergrund:
Die Jewish Agency, auch bekannt als Sochnut, hat zwei Hauptziele:
- Juden aus aller Welt bei der Auswanderung nach Israel zu helfen
- und die jüdische Identität zu stärken.
Sie bietet Hebräischkurse und Bildungsprogramme an und unterstützt Bedürftige sowohl in Israel als auch im Ausland.
In Russland unterstützt die Agentur auch Partner, die sich für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen einsetzen - darunter Juden und Nicht-Juden.
Die Jewish Agency, die 1929 gegründet wurde und heute Zweigstellen in der ganzen Welt unterhält, nahm ihre Tätigkeit in Russland 1989 auf, als die Auswanderung nach Israel begann.
Sie fördert jedoch nicht die Auswanderung nach Israel. Sie unterstützt nur diejenigen, die ein Recht auf Auswanderung haben, bezahlt die Flüge und hilft den Menschen, sich nach ihrer Ankunft in Israel ein neues Leben aufzubauen.
Nach Angaben der Organisation stieg die Zahl der Auswanderer aus Russland nach Israel im Jahr 2021 um 10 % auf 7.500. Russen stellen die größte Gruppe von Menschen, die in das Land umziehen.
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Die Annexion der Krim führte zu einem feindseligeren bilateralen Verhältnis
Natan Sharansky, ein sowjetischer Dissident und ehemaliger Vorsitzender der Jewish Agency, erklärte gegenüber DW, dass die gemeinnützige Organisation nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 und dem anschließenden Ausbruch des Krieges in der Ukraine "ins Visier der russischen Behörden" geraten sei.
Als die Spannungen mit dem Westen zunahmen, verbot Russland allen Nichtregierungsorganisationen, Daten über russische Bürger zu sammeln und im Ausland zu speichern. "Aber genau das tut die Jewish Agency", sagte Sharansky. "Sie kontaktiert Menschen, die ein Recht auf Auswanderung haben, führt verschiedene Programme durch und hilft den Menschen, sich in Israel anzusiedeln."
Die israelische Tageszeitung Jerusalem Post vermutete einen politischen Grund hinter dieser Entwicklung. Die Beziehungen zwischen Russland und Israel seien seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar komplizierter geworden, schrieb die Zeitung. Israel hat sich zwar nicht den westlichen Sanktionen angeschlossen, aber Russland verurteilt und die Ukraine unterstützt.
Im Mai löste der russische Außenminister Sergej Lawrow einen Skandal aus, als er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskyj mit Hitler verglich. Der russische Präsident Wladimir Putin entschuldigte sich später bei Naftali Bennett, dem damaligen israelischen Premierminister, für diese Äußerungen.
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Bedauerlich und beleidigend
Letzten Monat deutete der israelische Minister für Diaspora-Angelegenheiten, Nachman Shai, an, dass Moskau versuche, "die Jewish Agency für Israels Haltung zum Krieg zu bestrafen" und wurde von der Times of Israel mit den Worten zitiert, dies sei "bedauerlich und beleidigend".
"Die russischen Juden werden nicht als Geiseln für den Krieg in der Ukraine gehalten", betonte er.
Unterdessen warnte der israelische Ministerpräsident Yair Lapid, dass die erzwungene Schließung der Jewish Agency in Russland "ernsthafte Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Israel und Russland" haben würde.
Die Angelegenheit war Gegenstand eines Telefongesprächs zwischen Putin und seinem israelischen Amtskollegen Isaac Herzog am 9. August. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete, der Kreml habe erklärt, die beiden Männer seien übereingekommen, dass die "Kontakte über die Jewish Agency" in beiden Ländern "fortgesetzt" würden.
Nichtsdestotrotz bereitet sich die Jewish Agency auf das Schlimmste vor und hat laut The Jerusalem Post "Schritte unternommen, um ihre russischen Aktivitäten nach Israel und ins Internet zu verlegen."
(Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Russisch verfasst.)
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