Deutschland, Hanau: Gedenken an die Opfer des rechtsextremistischen Attentat
Mo., 20. Feb. 2023

Hanau — Rund 500 Menschen versammelten sich am Sonntag in der Hanauer Innenstadt zu einer Gedenkfeier für neun Menschen, die am 19. Februar 2020 von einem Rechtsextremisten getötet wurden.
Unter ihnen waren der Oberbürgermeister der Stadt, Claus Kaminsky, der hessische Ministerpräsident Boris Rhein und Bundesinnenministerin Nancy Faeser.
“Was bleibt, ist eine Wunde, die nicht heilen kann”, sagte Ajla Kurtovic, die Schwester eines der Opfer, bei der Gedenkfeier.
Sie sagte, die Angehörigen der Opfer seien mit einer Reihe offener Fragen zurückgelassen worden, “und das ist auch heute noch der Fall”.
Die deutsche Regierung hat versucht, sich auf die Identität und das Andenken der neun Menschen zu konzentrieren, die an verschiedenen Orten in Hanau getötet wurden, darunter auch in einer Shisha- oder Wasserpfeifen-Tabak-Bar, die der Schütze wegen ihrer Beliebtheit bei Migranten ausgewählt hatte.
Faeser, das Innenministerium und Bundeskanzler Olaf Scholz appellierten mit dem englischsprachigen Slogan “say their names” an die Menschen, damit sie nicht vergessen werden.
“Rassismus hat den Täter dazu getrieben, im Jahr 2020 in Hanau neun Menschen zu erschießen”, schrieb Scholz am Sonntag auf Twitter.
“Ich bin überzeugt: Wir können den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nur verbessern, wenn wir das Gedenken an die Opfer sichtbar machen. Ihre Namen sind unser politisches Erbe.”
Er fügte ein Bild an, auf dem jeder der Namen aufgeschrieben ist.

Täter war Waffenliebhaber mit rechtsextremer Gesinnung
Acht der Opfer hatten einen “Migrationshintergrund”, d.h. sie oder mindestens ein Elternteil hatten bei der Geburt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit; ein Opfer war ein deutscher Roma.
Der 43-jährige Schütze kehrte anschließend in seine Wohnung zurück, wo er seine Mutter und anschließend sich selbst erschoss.
Der Täter feuerte insgesamt mindestens 52 Schüsse ab.
In seinem Auto wurden eine Handfeuerwaffe, zusätzliche Magazine und ein Rucksack mit noch mehr Munition gefunden.
In seiner Wohnung fand die Polizei drei weitere Waffen und weitere Munition.
Er war Mitglied in einem Schützenverein.
Ehemalige Kollegen sagten später, der Mann sei asozial gewesen und habe regelmäßig 12 Stunden am Tag gearbeitet.
Wenn er sprach, machte er keinen Hehl aus seiner politischen Gesinnung und sagte, dass er die deutsche Fußballnationalmannschaft wegen der “Ausländer” nicht mehr unterstütze und dass er die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) nicht unterstütze, weil er sie für zu gemäßigt halte.
Die Art des Verbrechens, Hinweise auf mögliche Fehler der Polizei und die Tatsache, dass in den Minuten nach der ersten Schießerei mehrere Notrufe unbeantwortet blieben — da die beiden verfügbaren Telefonleitungen für die Region zu dieser späten Stunde besetzt waren — trugen alle zu dem Schock und der Wut der Öffentlichkeit im Anschluss an die Tat bei.

Rund 500 Menschen nahmen an einer Zeremonie auf dem Hanauer Marktplatz teil.
Das geplante Mahnmal für die Opfer wird jedoch wahrscheinlich an einem weniger zentralen Ort der Stadt aufgestellt werden Bild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance
Gedenkfeiern in Kirche, Innenstadt und Friedhof
Zu den Gedenkveranstaltungen am Sonntag gehörten eine multireligiöse Zeremonie, Ansprachen vor einem größeren Publikum auf einem zentralen Platz in der rund 100.000 Einwohner zählenden Großstadt und ein Besuch der Grabstätte der Opfer auf dem Hanauer Hauptfriedhof.

Imam Marcit Bozkurt von der Islamischen Gesellschaft Hanau gehörte zu den Rednern des GottesdienstesBild: Tim Wegner/epd
Neben den Angehörigen der Opfer war Oberbürgermeister Kaminsky der einzige Politiker, der bei der Zeremonie vom Podium aus sprach.
Ministerpräsident Boris Rhein von den Christdemokraten und Faeser, der als Spitzenkandidat der SPD bei den Landtagswahlen in diesem Jahr gegen Rhein antreten will, standen nicht auf der Bühne.
Faeser sprach mit den Angehörigen der Opfer, und Fotografen hielten fest, wie sie scheinbar vom Vater eines der Opfer getröstet wurde.

19. Februar 2023. Einer der Väter des Opfers scheint Faeser während des Gesprächs zu trösten Bild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance
Am Rande der Gedenkveranstaltung sagte Faeser, es sei wichtig, auf das Verbrechen zu reagieren “und auch nicht nachzulassen”. Der Täter habe die Opfer als Außenseiter darstellen wollen, “aber das waren sie nicht”, sagte sie.
Gedenkstätte und laufende politische Ermittlungen sind in Hanau ein wichtiges Thema
Als die Angehörigen der Opfer erneut ihre Enttäuschung über die auch drei Jahre später noch offenen Fragen zu dem Verbrechen zum Ausdruck brachten, sagte Faeser, sie könne deren Frustration sehr gut verstehen und sagte, “es gibt nicht immer die Antworten, die wir erwarten”.
Der laufende Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag sei der richtige Ort für die weitere Aufklärung, sagte sie.
Rhein sagte unterdessen: “Es darf kein Vergessen geben. Was vor drei Jahren in Hanau passiert ist, ist bis heute unfassbar.”
Oberbürgermeister Kaminsky sagte während der Zeremonie, das Verbrechen habe “Menschen getroffen, die mitten unter uns leben, die zu uns gehören, in unserer Stadt und unserer Nachbarschaft”.
Er sagte, dass die Demokratie ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellen müsse und dass die Grundrechte zerbrechlich seien und geschützt werden müssten: “Deshalb sagen wir allen Rassisten und allen Antidemokraten, auch denen, die unser Land mit ihren Parolen vergiften wollen: Es gibt mehr von uns. Und wir sind stärker als euer Hass.”
Auch die verzögerten Pläne für eine Gedenkstätte in der Stadt sorgten auf der Veranstaltung für Unruhe.
Die Angehörigen der Opfer behaupten, die örtlichen Behörden würden das Projekt verzögern.
Ein Entwurf für die Gestaltung wurde genehmigt, aber ein Standort ist noch nicht festgelegt.
Kaminsky sagte am Sonntag, dass der zunächst vorgeschlagene Standort auf dem zentralen Marktplatz nicht gewählt werden würde.
Er sagte, die Stadtverwaltung habe Unbehagen und Bedenken hinsichtlich der Eignung des Standorts für ein Mahnmal geäußert.
Ein besserer und wahrscheinlicherer Standort sei das neue, geplante Zentrum für Demokratie und Vielfalt in Hanau, für das Innenminister Faeser am Sonntag 3,4 Millionen Euro an Bundesmitteln zugesagt hat.