Deutschland: Zu wenig Gräber für muslimische Einwanderer
Mo., 13. Feb. 2023

Von den 83 Millionen Einwohnern Deutschlands sind mehr als 5 Millionen Muslime, Tendenz steigend.
Der 50-jährige Samir Bouaissa wurde in Marokko geboren, lebt aber seit 48 Jahren in der westdeutsche Stadt Wuppertal.
Er ist Vorsitzender des Vereins Muslimische Friedhöfe Wuppertal e.V., der den ersten ausschließlich von muslimischen Gemeinden betriebenen Friedhof in Deutschland einrichten will.
“Wir haben 2008 in Wuppertal damit angefangen”, so Bouaissa.
“Schon damals war klar, dass Deutschland deutlich mehr muslimische Begräbnisstätten braucht.”
In Deutschland gibt es über 30.000 Friedhöfe, von denen ein Drittel den christlichen Kirchen gehört, während der Rest von den Kommunen betrieben wird.
Jedes der 16 Bundesländer hat umfangreiche und unterschiedliche Bestattungsregelungen.

Bouaissa ist ein Pionier.
Vor mehr als sechs Jahrzehnten kamen die ersten Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland und ließen sich dann in vielen Fällen dauerhaft hier nieder.
Sie hielten an ihren religiösen und kulturellen Traditionen fest, doch gab es für Muslime nur begrenzte Möglichkeiten, ihre Toten in der neuen Heimat angemessen zu bestatten.
Es gab viele rechtliche Hürden sowie umfangreiche und zum Teil hitzige Debatten, bis die ersten Bundesländer die Bestattungsvorschriften änderten und das strenge Erfordernis eines Sarges aufgaben; sowohl die jüdische als auch die muslimische Tradition setzen auf die Bestattung in einem Tuch und schließen eine Einäscherung oder Umbettung gänzlich aus.
In Deutschland sind die Gemeinden verpflichtet, wo immer möglich Grabfelder oder Friedhöfe zur Verfügung zu stellen, aber der Wettbewerb um Grundstücke für muslimische Gräber ist hart.
In den letzten Wochen warnten die Berliner Behörden, dass die Friedhöfe an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen oder diese bereits erreicht haben.
Und Bouaissa sagte, dass in vielen Städten Muslime auf Friedhöfe in benachbarten Gemeinden ausweichen mussten.

Zurück in die alte Heimat — in einem Sarg
In der Sehitlik-Moschee in Berlin-Tempelhof, die von der Türkisch-Islamischen Union für Religion (DITIB) betrieben wird, nehmen Muslime fast täglich Abschied von ihren verstorbenen Angehörigen, während ein Imam das letzte Gebet spricht.
Draußen warten geparkte Leichenwagen, um die Särge zum Flughafen und in ein Flugzeug zu bringen, das oft in die Türkei fliegt.
Viele Einwanderer der ersten Generation möchten in ihrem Herkunftsland beerdigt werden, und seit mehreren Jahrzehnten bietet DITIB eine “Bestattungsversicherung” an, die alle Kosten für die Überführung in die Türkei und die Beerdigung dort abdeckt. Bouaissa sagte der DW, dass Marokko, Tunesien und Algerien ähnliche Angebote machen.
Auch der Bundesverband Deutscher Bestatter verzeichnet einen Anstieg der muslimischen Bestattungen. “Das ist gut so, denn die Bestattungskultur ist ein Spiegel der Gesellschaft”, sagte Stephan Neuser, Generalsekretär des Verbandes, der DW. Der Verband fordert seit Jahren eine professionelle, einheitliche Ausbildung für den Beruf, die nach Neusers Ansicht auch kulturelle Aspekte berücksichtigen muss.
Multikulturelle Begräbnisstätte in Berlin
Der Türkische Friedhof Berlin ist die älteste muslimische Begräbnisstätte in Deutschland.
Er stammt aus dem Jahr 1866, also aus der Zeit vor der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871. Einige alte Grabsteine zeugen noch von dieser Geschichte.
Der Friedhof spiegelt das multikulturelle Berlin wider: Es gibt ein Denkmal für deutsche Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind, daneben Gräber französischer Soldaten sowie deutscher Soldaten, die in Südwestafrika, der ehemaligen deutschen Kolonie im heutigen Namibia, dienten.
Doch nur wenige Schritte weiter stehen Grabsteine mit deutschen Transkriptionen türkischer oder arabischer Namen wie Ersin und Ibrahim, deren Geburtsorte Istanbul, Beirut oder Kabul waren.
Aber auch auf dieser Grabstätte ist der Platz begrenzt.
Im Januar kündigte der Berliner Senat an, er wolle im Jahr 2023 auf “mindestens drei weiteren Friedhöfen” neue Grabstellen für muslimische Bestattungen einrichten.

In Wuppertal ist Bouaissa, der sowohl örtlicher Abgeordneter der CDU als auch Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Zweigs des Zentralrats der Muslime ist, Teil einer Initiative, die von allen politischen Parteien im Stadtrat unterstützt wird.
Der Vorschlag, den ersten von Muslimen betriebenen Friedhof in Deutschland zu eröffnen, soll Modellcharakter haben.
Der Standort des geplanten Friedhofs befindet sich in der Nähe des ältesten evangelischen Friedhofs der Stadt sowie eines neuen jüdischen Friedhofs.
“Die drei Friedhöfe sollen sich einen Vorplatz mit drei Trauerhallen teilen”, so Bouissa. Dieser könnte auch als Treffpunkt für interessierte Besuchergruppen dienen, fügte er hinzu.
Das ist der Plan.
Doch seit 15 Jahren hat Bouaissa mit bürokratischen Hürden zu kämpfen: Es müssen Gutachten zur Landschaftsgestaltung, zum Schutz der Tierwelt und sogar zum Bodenmanagement eingeholt werden.
Derzeit wird die Stabilität des gesamten Geländes nach den Überschwemmungen überprüft, die im Sommer 2021 auch das Tal der Wupper heimsuchten.
Aber Bouaissa glaubt, dass die Dinge noch dringlicher werden, angesichts der Hunderttausenden von Flüchtlingen, die 2015 und 2016 nach Deutschland kamen, vor allem aus Syrien.
“In vielen Fällen handelt es sich um Menschen, die überhaupt keine Möglichkeit haben, in ihre Heimatländer zurückzukehren”, sagte er. Deshalb werden sie irgendwann auch in Deutschland einen Bestattungsplatz finden müssen.