Deutschlands Chemie-Forschung stockt wegen Ukraine-Krieg und Covid-Pandemie
Fr., 19. Aug. 2022

Berlin — Unsicherheiten, hohe Energieosten, die Coronavirus-Pandemie und Russlands Krieg gegen die Ukraine haben die Rentabilität der Chemie-Forschung unter Druck gesetzt und ihre Forschungsarbeit gebremst.
In den zehn Jahren vor der Pandemie und dem Krieg stiegen die FuE-Budgets in der chemischen Industrie um 5 % pro Jahr.
Dieser Trend ist aufgrund der Pandemie und des Krieges in der Ukraine zum Stillstand gekommen, erklärten Thomas Wessel und Gerd Romanowski diese Woche in Mediengesprächen.
Wessel ist Mitglied des Vorstands von Evonik und leitet den Forschungs- und Wissenschaftsausschuss des VCI. Romanowski ist Geschäftsführer des VCI-Forschungs- und Wissenschaftsressorts.
In einer kürzlich durchgeführten VCI-Mitgliederbefragung bewerteten 65 % der chemisch-pharmazeutischen Unternehmen die Bedingungen für Investitionen in F&E als negativ oder sehr negativ — und das, obwohl die Branche mehr F&E benötigt.
Diese F&E könne einen wichtigen Beitrag leisten, um Wege aus der aktuellen Krise zu finden — durch Forschung in den Bereichen Energie, neue Materialien, Katalyse oder im Bereich Gesundheit und Biotechnologie, so die Vertreter.
Als Beispiele nannten sie neue Materialien im Batterie‑, Halbleiter- oder Windkraftsektor sowie Forschungen zum Recycling von Altkunststoffen zu neuen Rohstoffen für die chemische Produktion.
Sie forderten die Regierung auf, sich stärker an der Forschung und Entwicklung der chemischen Industrie zu beteiligen.
Die oft kapitalintensiven und risikoreichen Forschungsprojekte der Branche überstiegen die Möglichkeiten einzelner Unternehmen, sagten sie.
Dass Chinas chemische F&E sogar die der USA übertrifft, sei noch vor ein paar Jahren “undenkbar” gewesen, so Romanowski.
Der Grund für den Erfolg Chinas liege darin, dass Peking Forschung und Entwicklung “massiv” fördere und dafür sorge, dass neue Produkte schnell auf den Markt kämen, sagte er.
Im Gegensatz dazu sank die staatliche Beteiligung an der Forschung und Entwicklung in der chemischen Industrie in Deutschland im Laufe der Jahre von 10,2 % im Jahr 1995 auf nur noch 3,2 % im Jahr 2019.
Der Rückzug des Staates aus der Forschung und Entwicklung in der chemischen Industrie sei “besorgniserregend”, wenn man bedenke, wie vielversprechend diese Forschung und Entwicklung sei, um dem Land bei der Bewältigung seiner Herausforderungen zu helfen.
Darüber hinaus seien die deutschen Chemieproduzenten mit langwierigen Genehmigungsverfahren für neue Projekte, Technologien und Anlagen konfrontiert, was den Wandel der Branche hin zur Emissionsneutralität behindere.
Die Chemieunternehmen müssten in der Lage sein, ihre Forschungsprojekte schnell in eine innovative Produktion umzusetzen, so Wessel.
"Schließlich will die Branche klimaneutral und gleichzeitig unabhängig von russischem Gas sein", fügte er hinzu.
Im vergangenen Jahr investierte die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland laut VCI rund 13,2 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung und lag damit unter dem Niveau vor der Pandemie im Jahr 2019.
Für 2022 prognostiziert der VCI, dass die F&E-Ausgaben nicht steigen werden - trotz des steigenden Innovationsbedarfs.
Der VCI vertritt rund 1.900 Chemie- und Pharmaunternehmen mit Sitz in Deutschland. Die Unternehmen erwirtschafteten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 220 Mrd. Euro und beschäftigten 530.000 Menschen.