Schweiz kooperiert enger mit NATO
Mo., 11. Juli 2022

Bern — Die Brutalität der russischen Aggression in der Ukraine hat die transatlantische Gemeinschaft in helle Aufregung versetzt. Vielleicht sollte es daher nicht überraschen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine auch in der Schweiz nachhallt, einem Land, das seit über 200 Jahren neutral ist und dessen Neutralität in der Verfassung verankert ist.
Selbst während des Ersten und des Zweiten Weltkriegs hat die Schweiz ihre Neutralität gewahrt.
Während des Kalten Krieges war Genf aufgrund seines neutralen Status Gastgeber der Gipfeltreffen zwischen dem Westen und der Sowjetunion in den Jahren 1955 und 1985.
Doch seit dem 24. Februar hat Putins Angriffskrieg in der Ukraine die Schweiz dazu veranlasst, ihre Neutralität in Frage zu stellen und eine stärkere Annäherung an die transatlantische Gemeinschaft zu suchen, um auf Russland zu reagieren.
Am 28. Februar kündigte die Schweiz an, dass sie als Reaktion auf die Invasion alle Sanktionen und das Einfrieren von Vermögenswerten der Europäischen Union gegen russische Einrichtungen und Personen übernehmen werde.
In der Vergangenheit hat die Schweiz Sanktionen gegen Länder wie den Iran und Nordkorea verhängt, aber, wie Reuters feststellte: “in einer Reihe von Krisen, einschließlich der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014, keine Sanktionen verhängt. Die Ausnahme waren bisher die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen, die sie nach internationalem Recht umsetzen muss.”
Zum Entscheid, Russland zu sanktionieren, sagte Bundespräsident Ignazio Cassis:
“Wir befinden uns in einer ausserordentlichen Situation, in der ausserordentliche Massnahmen beschlossen werden könnten.”
In der Folge hat die Schweiz ihre Sanktionen ausgeweitet und unter anderem den Import russischer Kohle, den Export von Kerosin nach Russland und den Einflug russischer Flugzeuge in den Schweizer Luftraum verboten.
Auch im Bereich der Verteidigung könnten sich Änderungen abzeichnen. Anfang März forderte Verteidigungsministerin Viola Amherd besser vorbereitete und finanzierte Streitkräfte und sagte, man müsse “darüber reden, wie man die Schweizer Bevölkerung vor Gefahren schützen kann”.
Im Laufe des Sommers wird das Schweizer Verteidigungsministerium einen Bericht erstellen, der dem Kabinett im September vorgelegt werden soll und in dem das Potenzial neuer Sicherheitsoptionen für die Schweiz erörtert wird.
Zu den Optionen, die Berichten zufolge in Betracht gezogen werden, gehören die Teilnahme an gemeinsamen Übungen mit der NATO und die Aufstockung der Munition von Ländern, die der Ukraine militärische Hilfe geschickt haben.
Obwohl die Unterstützung für einen NATO-Beitritt in der Schweizer Bevölkerung zugenommen hat, bleibt dies eine Minderheitsmeinung.
Es wird nicht erwartet, dass der Bericht für einen Beitritt der Schweiz plädiert, und Amherd hat erklärt, ein Beitritt zur Allianz sei “keine Option”.
Es ist jedoch wahrscheinlich, dass der Bericht einige Schritte empfehlen wird, um die Schweiz näher an die NATO heranzuführen, z.B. durch die Verbesserung der Interoperabilität durch Übungen oder die Teilnahme an zusätzlichen von der NATO akkreditierten Exzellenzzentren.
Noch vor dem diesjährigen Einmarsch in die Ukraine kündigte die Schweiz umfangreiche Beschaffungen im Verteidigungsbereich an, darunter 36 F-35-Kampfjets und fünf Patriot-Raketenbatterien - Fähigkeiten, die bereits in den Arsenalen vieler NATO-Mitgliedstaaten vorhanden sind.
Vielleicht ergibt sich für die Schweiz in Zukunft die Möglichkeit, ein "enhanced opportunity partner" der NATO zu werden.
Das Bündnis hat diese Kategorie nach dem Gipfel von Wales 2014 eingeführt, um die Zusammenarbeit mit Nicht-NATO-Partnerstaaten zu vertiefen.
Zwei der fünf derzeitigen "Enhanced Opportunity Partner", Finnland und Schweden, werden der NATO wahrscheinlich noch in diesem Jahr beitreten, so dass Australien, Georgien und Jordanien die verbleibenden drei sind.
Auch wenn der Verteidigungsbericht der Schweiz einige historische Veränderungen in der Politik der Verteidigungszusammenarbeit des neutralen Staates empfehlen mag, so ist es doch wichtig, die Erwartungen zu dämpfen.
Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen, und die schweizerische Neutralität ist nach wie vor lebendig und gut.
So blockiert Genf weiterhin die Wiederausfuhr von Munition und gepanzerten Fahrzeugen aus Schweizer Produktion in die Ukraine.
Die Schweiz befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen ihrer historischen Neutralität und der Realität der neuen Sicherheitsordnung, die durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine eingeleitet wurde.
Die Schweizer wissen, dass es keinen Weg zurück zum Status quo vor dem 24. Februar gibt.
Während Russlands Invasion und Brutalität zu einigen politischen Veränderungen geführt haben und eine Ausweitung der Verteidigungszusammenarbeit in Erwägung gezogen wird, bleiben andere, wie etwa die Kontrollen von Reexporten von Verteidigungsgütern, fest in Kraft.
Russlands Krieg hat in ganz Europa Widerhall gefunden, sogar in den Kantonen der Schweiz.
Wohin dieser Nachhall letztlich führt, bleibt eine Frage, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten - wie auch Russland - sicherlich genau beobachten werden.