Ukrainische Atombehörde beschuldigt russisches Militär der Tötung sowie schwere Misshandlung von Arbeitern im Kernkraftwerk Saporischschja
Do., 08. Sept. 2022

Saporischschja — Der Leiter der ukrainischen Atombehörde Energoatom hat die russische Besatzungstruppen beschuldigt im Kernkraftwerk Saporischschja ukrainische Mitarbeiter schwer misshandelt, getötet, sowie entführt zu haben.
Der Präsident von Energoatom, Petro Kotyn, sagte der deutschen Mediengruppe “Funke” in einer am 8. September veröffentlichten Erklärung, er habe keine Ahnung, wo sich einige der Entführten befinden.
“Einige Mitarbeiter seien getötet worden”, erklärte er und fügte hinzu: „Wir wissen, dass Menschen gefo***rt worden sind“
Die Anschuldigungen kommen inmitten von Berichten über erneuten Beschuss der Sechs-Reaktoren-Anlage und einen Stromausfall in der umliegenden Stadt, die die internationale Furcht vor einer nuklearen Katastrophe verstärken.
Kotyn sagte, dass die Besatzungstruppen das Personal der Anlage überprüfen, um ihre nationale Loyalität festzustellen.
Er sagte, dass es für die etwa 1.000 verbliebenen Mitarbeiter sehr schwierig sei, das größte Kernkraftwerk Europas am Laufen zu halten.
Etwa 11.000 Menschen arbeiteten in der Anlage in Saporischschja, bevor sie in den ersten Wochen nach Moskaus unprovoziertem Einmarsch in die Ukraine Ende Februar unter russische Kontrolle geriet.
Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) berichtete diese Woche, dass ihre jüngste Inspektion in Saporischschja eine “unhaltbare” Situation und “die dringende Notwendigkeit von Übergangsmaßnahmen” gezeigt habe, um einen nuklearen Unfall zu vermeiden.
Die IAEO, die Atomaufsichtsbehörde der Vereinten Nationen, warnte davor, dass aufgrund von Personalmangel und Stress die Gefahr von Betriebsausfällen bestehe.
Die 14 UN-Inspektoren hätten von den russischen Besatzern keinen Zugang zu allen Bereichen des Kernkraftwerks erhalten.
Zwei IAEA-Experten blieben aus Überwachungs- und Sicherheitsgründen in Saporischschja zurück.
Die Agentur teilte am 7. September mit, dass “erneuter Beschuss eine Reservestromleitung zwischen dem ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja und einem nahe gelegenen Wärmekraftwerk beschädigt hat, was die erheblichen Risiken für die nukleare Sicherheit der Anlage weiter unterstreicht”.
Der Gouverneur der Region Dnipropetrowsk und der Bürgermeister der Stadt Enerhodar, in der sich das Kernkraftwerk Saporischschja befindet, beschuldigten die russischen Streitkräfte, am 7. September erneut das Kraftwerk beschossen zu haben, wodurch die Stromversorgung in der Nähe unterbrochen wurde.
Gouverneur Walentyn Reznichenko sagte, es habe “Brände, Stromausfälle und andere Dinge im [Kraftwerk] gegeben, die uns zwingen, die örtliche Bevölkerung auf die Folgen der nuklearen Gefahr vorzubereiten”.
Berichten zufolge haben die Behörden in den letzten Tagen Jodtabletten verteilt, um die örtliche Bevölkerung im Falle eines Strahlungslecks zu schützen.
In Enerhodar sagte der Bürgermeister der Vorortgemeinde, Dmytro Orlow, dass die Arbeiter nach einem zweiten Tag russischen Beschusses, der "ihre Arbeit auf Null reduziert", keine lokalen Dienstleistungen mehr erbringen könnten.
Am 7. September teilte er über Telegramm mit, dass "es jetzt unmöglich ist, den Zeitpunkt der Wiederherstellung der Stromversorgung vorherzusagen."
Die ukrainische und die russische Seite haben sich gegenseitig der Bombardierung und anderer gefährlicher Aktivitäten rund um das Kraftwerk beschuldigt.
Nuklearexperten haben vor einer möglichen Kernschmelze im Stil von Tschernobyl oder Fukushima gewarnt, wenn die Reaktoren nicht mehr mit Strom versorgt werden.
Der russische Präsident Wladimir Putin beschuldigte am 7. September weiterhin die Ukrainer, "Bedrohungen für die nukleare Sicherheit" zu schaffen und die Anlage und ihre Umgebung zu beschießen - ein Vorwurf, den Kiew zurückgewiesen hat, während es den russischen Streitkräften riskante Bombenangriffe und "Nuklearterrorismus" vorwarf.
Die IAEO hat Russland und die Ukraine aufgefordert, eine "Schutzzone für nukleare Sicherheit" um die Anlage einzurichten, und erklärte, der Beschuss der Anlage und ihrer Umgebung müsse sofort eingestellt werden.
Kiew hat dies ebenfalls gefordert, ebenso wie die Rückgabe der Anlage an die Ukraine.