Wer ist verantwortlich für den Tod der Flüchtlings-Kinder an den EU-Grenzen?
Di., 27. Sept. 2022

Am 10. August erfuhr die Welt von dem tragischen Tod der fünfjährigen Maria an der griechisch-türkischen Grenze. Das kleine syrische Mädchen gehörte zu einer Gruppe von 39 Flüchtlingen, die von der Türkei nach Griechenland gekommen waren, um Asyl zu beantragen, aber von den griechischen und türkischen Behörden auf eine bewohnbare Insel inmitten des Evros-Flusses, der entlang der Grenze verläuft, zurückgedrängt wurden.
Maria starb, nachdem sie von einem Skorpion gestochen wurde, zwei Tage nachdem die Gruppe dort gestrandet war.
Obwohl Aktivisten die griechische Polizei, Frontex und das UNHCR in Griechenland kontaktierten, um die Gruppe zu retten, wurden ihre Anrufe als “Fake News” abgetan und ignoriert.
Ein weiteres Mädchen, eine Neunjährige, wurde ebenfalls von einem Skorpion gestochen und befand sich in einem kritischen Zustand.
Einige Wochen später starb ein vierjähriges Mädchen auf einem Flüchtlingsboot, das versucht hatte, Italien zu erreichen, aber auf Grund gelaufen war und in Richtung Malta trieb.
Trotz der Warnungen vor einem Schiff in Seenot reagierten die europäischen Behörden sechs Tage lang nicht.
Dies sind keine Einzelfälle von Flüchtlingskindern, die auf der Flucht vor Krieg, Autoritarismus, klimabedingten Naturkatastrophen, Armut oder einer Kombination dieser Faktoren an einer europäischen Grenze sterben.
Im Jahr 2015 schockierten die Bilder des dreijährigen syrischen Jungen Alan Kurdi die Welt, der im Mittelmeer ertrank, nachdem ein Boot mit ihm und Dutzenden anderen Flüchtlingen gesunken war.
Im Jahr 2017 berichteten internationale Medien über die Geschichte des sechsjährigen afghanischen Mädchens Madina Husein, das von einem Zug überfahren wurde, nachdem sie und ihre Familie von den kroatischen Behörden nach Serbien zurückgedrängt worden waren.
Neben diesen wenigen öffentlich bekannten Fällen berichtet das von der Internationalen Organisation für Migration ins Leben gerufene Missing Migrants Project, dass zwischen 2014 und 2022 mehr als 1.000 Kinder während ihrer Migrationsreisen nach Europa starben oder verschwanden.
Diese Kinder starben oder verschwanden an den europäischen Grenzen — vom Ärmelkanal über den Balkan bis zum Mittelmeer — und an den Grenzen von Europas wichtigsten Partnern bei der Migrationskontrolle, der Türkei und Libyen. Kinder, die ihre Reise in die Länder der Europäischen Union überleben, werden beim Grenzübertritt oft verletzt oder traumatisiert.
Bei den Recherchen zur Gewalt an den Grenzen wurden viele Familien getroffen, die mit ansehen mussten, wie ihre Kinder verletzt wurden oder starben.
Ihre Geschichten sind ähnlich wie die von Maria.
Sie alle ereigneten sich an Grenzen, an denen illegale Push-Backs durch lokale Behörden und Frontex gängige Praxis sind, wodurch Menschen das Recht auf Asyl verweigert wird.
Fast 2.000 Kilometer (1.243 Meilen) östlich von Marias Todesort liegt die Grenze zwischen dem Iran und der Türkei, die Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und dem Iran auf ihrem Weg nach Europa zu überqueren versuchen.
Auch Asylsuchende aus den Nachbarländern der Türkei, dem Irak und Syrien, wählen diese gefährliche Route, da die syrisch-türkische und die irakisch-türkische Grenze immer schwieriger zu passieren sind.
Um die Migration in Richtung ihrer Grenzen zu verhindern, hat die EU der Türkei 110 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, die für den Bau einer Betonmauer und die Installation zusätzlicher Überwachungsanlagen an der iranisch-türkischen Grenze verwendet wurden.
Parallel dazu sind Push-Backs durch die türkischen Grenzbehörden zur wichtigsten Form der Migrationsabschreckung geworden.
Während Recherchen an dieser Grenze im Jahr 2021 wurden mehrere Personen getroffen, die sagten, sie seien von türkischen Sicherheitskräften auf iranisches Gebiet zurückgedrängt worden.
Vier Männer aus Afghanistan erzählten, dass sie sich nach einer Zurückdrängung in der bergigen Gegend nahe der Grenze verirrt hatten; als sie durch das unwegsame Gelände liefen, stießen sie auf Mitglieder einer afghanischen Familie, darunter ein etwa einjähriges Baby, das tot im Schnee lag: "Sie müssen erfroren sein", sagte einer der Männer.
In anderen Fällen wurden Flüchtlinge, darunter auch Kinder, verletzt oder starben, während sie von Schmugglern über türkisches Gebiet transportiert wurden.
"Ich war hier, als 70 Menschen im Van-See ertranken, darunter ein sechs Monate altes Baby aus Afghanistan", erzählte ein afghanischer Flüchtling in der türkischen Stadt Van.
"Wir haben alle geweint und den kleinen Körper auf dem örtlichen Friedhof begraben."