Österreich kehrt zur Kohleverstromung zurück
Mi., 20. Juli 2022

Wien — Österreich wird den vierten Tag in Folge weniger Gas erhalten, kündigte der russische Gaskonzern Gazprom am Sonntag an. Dies veranlasste eine Dringlichkeitssitzung der Regierung, um die Rückkehr zur Kohleverstromung zu signalisieren, aus der das Land 2020 ausgestiegen ist.
Österreich ist in hohem Maße von russischen Gasimporten abhängig. Da die Versorgung mit dem fossilen Brennstoff aus dem Kreml immer schwieriger wird, hat die österreichische Regierung zahlreiche Initiativen ergriffen, um sicherzustellen, dass die Gasvorräte für den Winter hoch sind.
“Österreich hat im Vergleich zu anderen Ländern eine extrem hohe Speicherkapazität”, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer nach einer Krisensitzung am Sonntag (19. Juni).
“Wir können den Verbrauch eines ganzen Jahres in unseren Speichern unterbringen. Bis jetzt läuft die Speicherung nach Plan”, fügte er hinzu. Österreich verfügt über die zweitgrößte Gasspeicherkapazität pro Kopf in der EU.
Um diese Speicher vor dem nächsten Winter zu füllen, hat die österreichische Regierung nach einer Dringlichkeitssitzung am späten Sonntag eine Reihe von Maßnahmen beschlossen.
Rund 6,6 Milliarden Euro werden für Gaseinkäufe in Höhe von etwa 20 Terawattstunden bereitgestellt, von denen etwa ein Drittel aus dem Ausland kommen muss. Um die von Gazprom gehaltenen Speicherstätten zu füllen, werden die Speicherkapazitäten nach dem Prinzip “use-it-or-loose-it” [sic] genutzt, heißt es in einer schriftlichen Erklärung, die am späten Sonntag an Journalisten verschickt wurde.
Vor allem aber soll das stillgelegte Kohlekraftwerk Mellach in der Steiermark reaktiviert und für Notfälle auf Kohlebetrieb umgestellt werden. Das Kohlekraftwerk hat eine Kapazität von 832 MW Strom und 400 MW Wärme, die für die Fernwärmeversorgung genutzt wird.
Österreich hatte mit der Schließung des Kraftwerks im April 2020 den Ausstieg aus der Kohle vollzogen. Bis dahin wird die Kohle nur noch für Notfälle eingesetzt. Deutschland hingegen will zusätzlichen Strom aus Kohle produzieren, um Gas für den kommenden Winter zu sparen.
“Meiner Meinung nach sollte das Kohlekraftwerk Mellach nicht nur für Notfälle eingesetzt werden, sondern auch als Präventivmaßnahme, um den Gasverbrauch bei der Stromerzeugung zu reduzieren”, twitterte der Energieanalyst Christoph Dolna-Gruber.
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Überwachung der Gasströme:
Das Klimaschutzministerium und der heimische Gasinfrastrukturbetreiber AGGM sind “im täglichen Austausch mit allen Marktteilnehmern sowie internationalen Partnern, um die täglichen Liefermengen, die am Markt verfügbaren Gasmengen und die Preisentwicklung zu überwachen”, so Klimaschutz- und Energieministerin Leonore Gewessler.
Österreich hat bereits vor einigen Wochen die Frühwarnstufe für den Gasnotstandsplan ausgerufen. Der nächste Schritt im Gasnotfallplan sei die Alarmstufe, so das Ministerium. Dazu gehöre die Aufforderung an die Industrie, Gas zu sparen und durch andere Energieträger zu ersetzen.
“Das entscheidende Kriterium ist der Fortschritt beim Aufbau der Speicher. Wir wollen mit zu 80 Prozent gefüllten Speichern in den Winter gehen. Dann sind wir gut gerüstet. Wenn dieses Ziel in Gefahr ist, werden wir handeln”, so Gewessler.
Österreich hat derzeit rund 39 Prozent seines Jahresverbrauchs in Gasspeichern gelagert - damit liegt das Land nach Angaben der Regierung an zweiter Stelle in der Europäischen Union, was die Speichermenge betrifft.
Auch in Deutschland, der Tschechischen Republik, Italien, Frankreich und der Slowakei wurden reduzierte Gaslieferungen aus Russland gemeldet. Gazprom begründet den Rückgang der Liefermengen mit den gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen, die zu Verzögerungen bei der Reparatur von Gaskompressoren führten.
Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA könnten die Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 bald ganz eingestellt werden.