BANGKOK, THAILAND – Die thailändische Generalstaatsanwaltschaft hat entschieden, gegen den Freispruch des ehemaligen Premierministers Thaksin Shinawatra im Verfahren wegen Majestätsbeleidigung Berufung einzulegen – entgegen einer klaren Empfehlung ihrer eigenen Fachkommission.
Brisanter Schritt im Paragraf-112-Verfahren
Im Mittelpunkt steht Paragraf 112 des thailändischen Strafgesetzbuchs, das strenge Verbot von als beleidigend empfundenen Äußerungen gegenüber der Monarchie. Die Anklage war auf ein Interview Thaksins mit dem südkoreanischen Sender KBS aus dem Jahr 2015 gestützt worden.
Der Strafgerichtshof in Bangkok hatte Thaksin, inzwischen 76 Jahre alt, am 22. August 2025 freigesprochen. Die Richter kamen zu dem Ergebnis, dass die vorgelegten Beweise nicht ausreichten, um eine direkte Verunglimpfung der königlichen Institution nachzuweisen. Die angegriffene Video-Sequenz habe sich nach Auffassung des Gerichts auf konkrete politische Akteure bezogen, nicht auf die Monarchie selbst.
Zudem stellte das Gericht die Glaubwürdigkeit zentraler Belastungszeugen in Frage. Mehrere Zeugen hätten Thaksin seit Jahrzehnten öffentlich bekämpft und seien daher als befangen und wenig verlässlich eingestuft worden.
Generalstaatsanwalt setzt sich über Expertenvotum hinweg
Trotz dieses Freispruchs ordnete das Office of the Attorney General (OAG) nun eine Berufung an. Verantwortlich ist Generalstaatsanwalt Itthiporn Kaewtip, der als Behördenchef über die letztliche Entscheidungshoheit verfügt.
Brisant: Itthiporn hatte zuvor als stellvertretender Generalstaatsanwalt selbst der Überprüfungskommission für Paragraf-112-Verfahren vorgestanden. Diese spezialisierte Kommission der Staatsanwaltschaft hatte im September 2025 nach Aktenlage mit 8 zu 2 Stimmen empfohlen, auf eine Berufung zu verzichten – unter Verweis auf die als schwach eingeschätzten Beweise.
Dennoch nutzte Itthiporn sein Ermessen in einem Auslandsverfahren und entschied, dass Thaksins Aussagen eine Straftat darstellten, die einer erneuten Bewertung durch das Berufungsgericht bedürfe. Die Frist für eine Berufung war vom Gericht zweimal bis zum 21. November 2025 verlängert worden.
Die Anordnung wurde inzwischen an das zuständige Office of the Criminal Case Prosecutor 8 weitergeleitet, das die Berufung formal beim Gericht einreichen soll.

Familienbesuch im Gefängnis – Thaksin „am Boden zerstört“
Während die juristische Entscheidung in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, besuchte Paetongtarn Shinawatra, Thaksins Tochter, ihren Vater im Klong-Prem-Gefängnis in Bangkok. Dort verbüßt der Ex-Premier eine separate Haftstrafe wegen Korruption.
Nach dem Besuch schilderte sie die Stimmung im Familienkreis als niedergeschlagen. „Er ist am Boden zerstört und verletzt wegen der Entscheidung des Generalstaatsanwalts, im Paragraf-112-Verfahren in Berufung zu gehen“, sagte Paetongtarn. Sie kündigte an, die Familie werde weiter für Gerechtigkeit kämpfen, falls sich diese nicht auf juristischem Weg einstelle.
Auch Thaksins Sohn Panthongtae äußerte sich bestürzt. Die Nachricht habe die Familie „geistig erschüttert“, zugleich bedankte er sich für den Zuspruch aus Teilen der Bevölkerung.
Politisches Lagerdenken tritt offen zutage
Der Schritt der Generalstaatsanwaltschaft vertiefte die ohnehin stark polarisierten Fronten in der thailändischen Politik. Thaksin, der nach Jahren im Exil 2024 nach Thailand zurückgekehrt war, ist weiterhin eine der zentralen Figuren im politischen Machtgefüge und berät die Pheu Thai.
Kritiker der Berufung, insbesondere Anhänger Thaksins, sehen in der Entscheidung einen politisch motivierten Eingriff in den Justizprozess. Sie verweisen darauf, dass Itthiporn die Empfehlung der eigenen Fachkommission umgekehrt habe und deuten dies als mögliches Zeichen äußeren Drucks.
Zudem wird von diesen Kreisen argumentiert, die Berufung diene vor allem dazu, Thaksins Haftzeit faktisch zu verlängern. Hintergrund ist, dass Gefangene mit weiteren schwebenden Strafverfahren in der Regel keinen Anspruch auf vorzeitige Entlassung haben. Nach der bisherigen Rechtslage wäre Thaksin dafür voraussichtlich bald in Frage gekommen.

Konservative feiern „Sieg für Rechtsstaatlichkeit“
Ganz anders reagierten konservative Stimmen. Vertreter dieses Lagers betonten, die Berufung sei notwendig, um die Konsequenz der Anwendung von Paragraf 112 zu sichern und das Vertrauen in die Rechtsordnung zu stärken.
Der Sekretär der Demokrat Partei, Ramet Rattanachewang, begrüßte die Entscheidung ausdrücklich. Er sprach von „guten Nachrichten zum Jahreswechsel“ und argumentierte, ein so bedeutendes Verfahren müsse von höheren Instanzen geprüft werden, um die Integrität des Gesetzes zu gewährleisten.
Befürworter der Berufung betonten, es gehe dabei nicht um politische Rache, sondern um Rechtsklarheit und Gerechtigkeit. Das Verfahren müsse zeigen, wie weit Meinungsfreiheit in Thailand im Spannungsfeld zu den Schutzbestimmungen für die Monarchie reiche.
Bedeutung für Meinungsfreiheit und politische Zukunft
Die nun angestrengte Berufung vor dem Court of Appeal hat Auswirkungen, die über die Person Thaksin hinausreichen. Das Gericht könnte mit seiner Entscheidung die Grenzen des öffentlichen Diskurses im Königreich neu bestimmen – besonders, was politische Kritik und deren mögliche Auslegung als Angriff auf die Monarchie betrifft.
Für Thaksin selbst bedeutet der Schritt eine fortdauernde rechtliche Unsicherheit. Neben seiner Rolle als Gefangener ist er gleichzeitig politischer Akteur mit Einfluss auf die von Pheu Thai geführte Regierung. Der Ausgang des Berufungsverfahrens könnte seine politische Handlungsfähigkeit nachhaltig beeinflussen.
In einem politischen System, das seit Jahren von Konflikten zwischen unterschiedlichen Lagern geprägt ist, wird das Verfahren um den Paragraf 112 damit zu einem weiteren Testfall dafür, wie Justiz, Politik und Monarchie in Thailand zueinander stehen.
Besonders im Fokus steht dabei das Risiko, dass:
• politische Lagerkämpfe weiter in die Justiz hineinwirken
• zukünftige Verfahren zu Paragraf 112 an der Entscheidung des Berufungsgerichts ausgerichtet werden
• die Frage der Meinungsfreiheit in Thailand erneut unter internationalen Beobachtungsdruck gerät
Ausblick: Entscheidung mit Signalwirkung
Ein konkreter Termin für die Entscheidung des Berufungsgerichts wurde noch nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass das Urteil Signalwirkung haben wird – sowohl für Thaksins persönliches Schicksal als auch für die künftige Auslegung des Majestätsbeleidigungs-Paragrafen.
Bis dahin dürfte der Fall die politischen Spannungen in Thailand weiter nähren. Zwischen dem Anspruch auf Rechtsdurchsetzung und dem Vorwurf politischer Einflussnahme bleibt die Generalstaatsanwaltschaft im Zentrum eines Konflikts, der weit über die Mauern des Klong-Prem-Gefängnisses hinausreicht.



