Phukets Schattenseite: Ein Paradoxon
Die Neonlichter der Bangla Road flackern im feuchten Tropenwind. Es ist kurz nach 22 Uhr, und die berühmteste Partymeile Phukets erwacht. Tausende Touristen drängen sich zwischen Bars, Clubs und Straßenständen. Die Musik dröhnt, Cocktails werden gereicht, Lachen hallt durch die Gassen. Doch hinter dieser schillernden Fassade verbirgt sich eine Realität, die selten in den Reiseführern steht.
Narin, 34, steht vor einer der unzähligen Bars an der Seitenstraße. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen. Seit zwölf Jahren arbeitet sie hier, um ihre Familie im Nordosten Thailands zu unterstützen. Ihre Geschichte ist keine Ausnahme, sondern Teil eines komplexen Systems, das Phukets Wirtschaft mitträgt und gleichzeitig gravierende gesellschaftliche Fragen aufwirft.
Ein Milliarden-Geschäft im rechtlichen Graubereich
Thailand gilt weltweit als eines der bekanntesten Ziele für Besucher, die neben Stränden und Tempeln auch das Nachtleben suchen. Die Insel Phuket steht dabei an vorderster Front. Im Jahr 2024 verzeichnete die Provinz rund 13,1 Millionen Besucher und generierte dabei Einnahmen von etwa 497 Milliarden Thai Baht, umgerechnet rund 13,3 Milliarden Euro. Damit ist Phuket die einnahmenstärkste Tourismusprovinz des gesamten Königreichs.
Der Anteil, den die Unterhaltungsindustrie und damit verbundene Dienstleistungen an diesen Zahlen haben, lässt sich offiziell kaum beziffern. Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass die gesamte Branche in Thailand jährlich etwa 6,4 Milliarden US-Dollar umsetzt. Das entspricht ungefähr 1,5 Prozent des thailändischen Bruttoinlandsprodukts.
Die rechtliche Grauzone
Was viele Besucher überrascht: Kommerzielle Dienstleistungen dieser Art sind in Thailand offiziell illegal. Das Gesetz zur Verhütung und Unterdrückung der Prostitution von 1996 verbietet die öffentliche Anbahnung und den Betrieb entsprechender Etablissements. Wer gegen das Gesetz verstößt, riskiert Geldstrafen ab 1.000 Thai Baht, etwa 27 Euro. Für Betreiber fallen die Strafen deutlich höher aus.
Dennoch existiert die Branche in einem Zustand stillschweigender Duldung. Behörden führen zwar gelegentlich Razzien durch, doch die Durchsetzung des Gesetzes erfolgt inkonsistent. Kritiker sprechen von einem System, das von Korruption durchzogen ist und in dem Bestechungsgelder den Betrieb am Laufen halten.
Reformbestrebungen im Parlament
In den vergangenen Jahren hat sich eine Bewegung formiert, die grundlegende Änderungen fordert. Im März 2023 stellte das thailändische Ministerium für Soziale Entwicklung und menschliche Sicherheit einen Gesetzesentwurf vor, der die Branche legalisieren und regulieren soll. Das geplante Gesetz zum Schutz von Beschäftigten in diesem Bereich würde die Altersgrenze auf 20 Jahre festsetzen, schriftliche Arbeitsverträge vorschreiben und den Zugang zu Sozialleistungen ermöglichen.
Jintana Chanbamrung, Generaldirektorin der Abteilung für Frauenangelegenheiten, erklärte gegenüber internationalen Medien: Das bestehende Gesetz sei seit 27 Jahren in Kraft und völlig veraltet. Die meisten Beteiligten seien sich einig, dass freiwillige Arbeit in diesem Bereich nicht kriminalisiert werden sollte.
Widerstand von konservativer Seite
Doch der Gesetzesentwurf stößt auf erheblichen Widerstand. Konservative Gruppen und religiöse Organisationen lehnen eine Legalisierung aus moralischen Gründen ab. Sie befürchten, dass eine offizielle Anerkennung den Menschenhandel nicht eindämmen, sondern eher verschleiern würde. Die mehrheitlich konservative thailändische Regierung hat in der Vergangenheit ähnliche Vorstöße wiederholt blockiert.
Bis Ende 2024 hatte der Entwurf noch keine parlamentarische Mehrheit gefunden. Die Debatte dauert an, und Experten rechnen frühestens 2025 oder 2026 mit einer möglichen Abstimmung.
Die menschliche Dimension
Hinter den Statistiken stehen individuelle Schicksale. Die meisten Betroffenen stammen aus den ärmsten Regionen des Landes, insbesondere aus dem Nordosten, dem sogenannten Isaan. Fehlende Bildungschancen, geringe Löhne in der Landwirtschaft und die Verantwortung für Familienangehörige treiben viele in die Großstädte und Touristenzentren.
Organisationen wie die Empower Foundation und die Service Workers in Group Foundation, kurz SWING, setzen sich seit Jahrzehnten für die Rechte dieser Menschen ein. SWING betreibt Büros in Bangkok, Pattaya und auch in Patong auf Phuket. Die Organisation bietet Gesundheitsdienste, HIV-Tests, Rechtsberatung und Bildungsprogramme an.
Gesundheitliche Risiken und Prävention
Thailand hat international Anerkennung für seine erfolgreichen HIV-Präventionsprogramme erhalten. Das sogenannte 100-Prozent-Kondom-Programm, das in den 1990er Jahren eingeführt wurde, führte zu einem drastischen Rückgang der Infektionsraten. Während die HIV-Prävalenz unter Beschäftigten in Etablissements 1989 noch bei über 33 Prozent lag, sank sie bis 2009 auf unter drei Prozent.
Dennoch bleiben Risiken bestehen. Studien zeigen, dass Personen, die außerhalb von Etablissements arbeiten, etwa auf der Straße oder über Telefonnetzwerke, deutlich höhere Infektionsraten aufweisen. Eine Erhebung in Bangkok ergab eine HIV-Prävalenz von über 20 Prozent in dieser Gruppe, etwa zehnmal höher als bei Beschäftigten in lizenzierten Betrieben.
Schutzbedürftige Gruppen
Besonders besorgniserregend ist die Situation von Minderjährigen und Opfern von Menschenhandel. Das US-Außenministerium stuft Thailand weiterhin in der zweiten Kategorie seines jährlichen Berichts über Menschenhandel ein. Das bedeutet, dass das Land die Mindeststandards zur Bekämpfung nicht vollständig erfüllt, obwohl es Fortschritte macht.
Im Jahr 2024 untersuchten thailändische Behörden 381 Fälle von Menschenhandel, davon 316 im Bereich kommerzieller Ausbeutung. Es kam zu 647 Anklagen und 360 Verurteilungen. Die Regierung verstärkte zudem ihre Präventionsarbeit. In der Provinz Phang Nga, die an Phuket grenzt, startete ein Pilotprojekt zur Verhinderung von Ausbeutung im Tourismusbereich.
Die Rolle der Nichtregierungsorganisationen
Organisationen wie das HUG Project in Chiang Mai arbeiten direkt mit Opfern zusammen. Seit der Gründung 2011 hat das Projekt 141 minderjährigen Opfern geholfen und über 900 Schulungen für Strafverfolgungsbehörden durchgeführt. Die Alliance Anti Trafic, kurz AAT, konzentriert sich auf die Rettung von Opfern aus versteckten Etablissements und arbeitet mit lokalen Behörden bei Ermittlungen zusammen.
Auch internationale Organisationen sind aktiv. UNAIDS unterstützt Thailand bei der Entwicklung von Strategien gegen Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV. Die Service Workers in Group Foundation verteilte während der COVID-19-Pandemie über 40.000 Lebensmittelpakete an Betroffene, die durch die Schließung von Bars und Clubs ihre Einkommensquelle verloren hatten.
Das Dilemma der Tourismusindustrie
Phuket steht vor einem grundlegenden Widerspruch. Die Insel positioniert sich als Familienurlaubsziel mit Luxusresorts, Tauchschulen und kulturellen Attraktionen. Gleichzeitig zieht das Nachtleben von Patong, insbesondere die Bangla Road, einen erheblichen Teil der Besucher an. Lokale Tourismusvertreter betonen, dass die Mehrheit der Gäste wegen der Strände, des Essens und der Gastfreundschaft kommt.
Die Bangla Road selbst erstreckt sich über etwa 400 Meter und wird jeden Abend zur Fußgängerzone. Dutzende Bars, Clubs und Restaurants säumen die Straße. Beliebte Clubs wie Illuzion, Sugar Club oder Tiger Nightclub ziehen internationale DJs an und sind bis in die frühen Morgenstunden geöffnet. Eintrittspreise liegen typischerweise zwischen 300 und 500 Thai Baht, etwa 8 bis 13 Euro, oft inklusive eines Getränks.
Wirtschaftliche Abhängigkeiten
Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für Phuket kann kaum überschätzt werden. Für 2025 peilt die Provinz Einnahmen von 550 Milliarden Thai Baht an, umgerechnet etwa 14,7 Milliarden Euro. Das entspräche einem Anstieg von etwa zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. In den ersten sieben Monaten 2025 besuchten bereits mehr als 7,6 Millionen Touristen die Insel.
Die Herausforderung besteht darin, den wirtschaftlichen Nutzen zu erhalten, ohne die damit verbundenen sozialen Probleme zu ignorieren. Einige Stimmen fordern eine Diversifizierung der Wirtschaft hin zu Bereichen wie Medizintourismus, internationalem Bildungswesen und Kongressveranstaltungen.
Rechtliche Risiken für Touristen
Besucher sollten sich der rechtlichen Situation bewusst sein. Obwohl die Durchsetzung des Gesetzes inkonsistent erfolgt, können Touristen bei Verstößen durchaus belangt werden. Geldbußen, Inhaftierung und in schweren Fällen Abschiebung und Einreiseverbot sind mögliche Konsequenzen. Besonders streng verfolgt werden Vergehen, die Minderjährige betreffen. Hier drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren.
Das thailändische Strafgesetzbuch setzt das Mindestalter für sexuelle Handlungen auf 15 Jahre fest. Jegliche kommerzielle Aktivität mit Personen unter 18 Jahren wird jedoch als schwere Straftat gewertet. Ausländische Staatsangehörige können zudem nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland strafrechtlich verfolgt werden, da viele Länder entsprechende Straftaten im Ausland unter Strafe stellen.
Blick in die Zukunft
Die Debatte um Legalisierung und Regulierung wird Thailand noch Jahre beschäftigen. Befürworter argumentieren, dass nur eine offizielle Anerkennung den Betroffenen Zugang zu Rechtsschutz, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen ermöglicht. Kritiker warnen vor einer Normalisierung, die den Menschenhandel nicht eindämmen, sondern nur verschleiern würde.
Narong Jaiharn, Rechtsprofessor an der Thammasat-Universität und Mitautor des Gesetzesentwurfs, bringt das Kernargument auf den Punkt: Betroffene hätten derzeit Angst vor der Polizei, weil ihre Tätigkeit illegal sei. Wenn sie Übergriffe anzeigen wollten, würden sie selbst als Gesetzesbrecher behandelt. Eine Legalisierung würde ihnen ermöglichen, Hilfe zu suchen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Ein komplexes Erbe
Phukets Schattenseite ist kein isoliertes Phänomen, sondern das Ergebnis historischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren. Die Ursprünge reichen bis zur Zeit des Vietnamkriegs zurück, als amerikanische Soldaten für sogenannte Rest-and-Recreation-Aufenthalte nach Thailand kamen. Was als temporäre Erscheinung begann, entwickelte sich zu einer dauerhaften Industrie.
Die COVID-19-Pandemie hatte dramatische Auswirkungen. Während der Grenzschließungen verloren geschätzt Zehntausende ihre Einkommensquelle. Viele kehrten in ihre Heimatdörfer zurück. Mit der Wiedereröffnung im Jahr 2022 kehrte auch die Branche zurück, wenn auch in veränderter Form. Die Touristenzahlen haben inzwischen wieder fast das Niveau vor der Pandemie erreicht.
Eine Frage der Perspektive
Wer Phuket besucht, erlebt eine Insel der Kontraste. Buddhistische Tempel stehen neben Nachtclubs. Luxusresorts grenzen an einfache Dörfer. Familienstrände befinden sich wenige Kilometer von der Bangla Road entfernt. Diese Gegensätze machen Thailand aus, sie prägen das Land seit Generationen.
Die Entscheidung, wie mit dieser Realität umzugehen ist, liegt letztlich bei den Thailändern selbst. Internationale Besucher können sich informieren, respektvoll verhalten und lokale Organisationen unterstützen, die sich für Betroffene einsetzen. Was sie nicht können: die komplexen gesellschaftlichen Fragen von außen lösen.
Narin, die Frau vor der Bar an der Bangla Road, hofft auf Veränderung. Nicht unbedingt auf ein anderes Leben, sagt sie, sondern auf ein Leben mit mehr Sicherheit und weniger Stigma. Ob der Gesetzesentwurf, der im Parlament diskutiert wird, diese Hoffnung erfüllen kann, bleibt abzuwarten. Die Neonlichter werden weiter flackern, Nacht für Nacht.
Anmerkung der Redaktion
Dieser Artikel dient ausschließlich der Aufklärung und informativen Berichterstattung. Er verfolgt weder die Absicht, bestimmte Aktivitäten zu bewerben noch zu verurteilen. Die dargestellten Sachverhalte basieren auf öffentlich zugänglichen Quellen, darunter Berichte des US-Außenministeriums, der Vereinten Nationen, thailändischer Regierungsstellen sowie internationaler Medien. Persönliche Angaben wurden zum Schutz der Betroffenen anonymisiert. Bei der Recherche wurden die Richtlinien für verantwortungsvollen Journalismus beachtet. Leser, die weiterführende Informationen zu Hilfsorganisationen suchen, finden Anlaufstellen wie die Empower Foundation, SWING und das HUG Project über deren offizielle Webauftritte.
Wechselkurs zum Redaktionsschluss: 1 Euro = ca. 37,41 Thai Baht



