Hintergründe des Grenzkonflikts zwischen Thailand und Kambodscha

wb-sk-20250724-205304
Thailändische Zivilisten, die vor den Gefechten zwischen thailändischen und kambodschanischen Soldaten geflohen sind, suchen am Donnerstag, dem 24. Juli 2025, in der nordöstlichen Provinz Surin Schutz. (AP Photo/Sunny Chittawil)

BANGKOK – An der thailändisch-kambodschanischen Grenze ist es heute erneut zu schweren Gefechten gekommen. In mehreren Provinzen wurde über Artilleriebeschuss, Raketenangriffe und Schusswechsel berichtet. Laut offiziellen Angaben wurden dabei mindestens neun thailändische Zivilisten getötet und 14 verletzt. Das thailändische Militär reagierte mit Luftschlägen auf Stellungen in Kambodscha – ein gefährlicher Höhepunkt in einem schwelenden Streit, der sich über Jahrzehnte hinzieht.

Laut thailändischem Verteidigungsministerium wurden Kampfhandlungen in mindestens sechs Grenzgebieten gemeldet. Der erste Zwischenfall ereignete sich in den frühen Morgenstunden in der Nähe des antiken Ta-Muen-Thom-Tempels, der an der Grenze zwischen der thailändischen Provinz Surin und Kambodschas Oddar-Meanchey-Provinz liegt.

Wie der aktuelle Streit begann

Die Spannungen zwischen den beiden südostasiatischen Nachbarländern begannen erneut im Mai, als es zu einem kleineren Schusswechsel kam. Dabei kam ein kambodschanischer Soldat ums Leben. Beide Seiten warfen sich gegenseitig Provokation und Grenzverletzung vor, betonten jedoch offiziell, dass sie eine Deeskalation anstreben.

Doch die Situation blieb angespannt: Thailand verschärfte Grenzmaßnahmen, die nahezu alle Grenzübertritte untersagten – mit Ausnahme von Schülern, medizinischen Notfällen und Personen mit dringendem Bedarf. Heute wurde die Grenze vollständig geschlossen.

Auf der anderen Seite reagierte Kambodscha mit einem Boykott thailändischer Produkte und Medieninhalte: Thai-Filme und Serien wurden aus dem Programm genommen, der Import von thailändischem Treibstoff, Obst und Gemüse wurde gestoppt. Zudem kappte Phnom Penh teilweise den Zugang zu thailändischen Internetverbindungen und Stromleitungen.

Politische Folgen in Bangkok

In Thailand hat der Konflikt auch innenpolitische Wellen geschlagen. Die Premierministerin Paetongtarn Shinawatra wurde am 1. Juli suspendiert, nachdem ein brisantes Telefongespräch mit einem hochrangigen kambodschanischen Politiker an die Öffentlichkeit gelangte. In dem Gespräch bezeichnete sie den ehemaligen Premierminister Kambodschas, Hun Sen, als „Onkel“ und kritisierte die thailändische Militärführung – Aussagen, die von vielen als Verletzung der nationalen Souveränität gesehen wurden.

Der Skandal löste Proteste aus. Die regierende Pheu-Thai-Partei verlor durch den Rückzug ihres Koalitionspartners Bhumjaithai-Partei massiv an Rückhalt im Parlament. Diese kritisierte Paetongtarns „zu milde“ Haltung gegenüber Kambodscha.

Paetongtarn verteidigte sich: Ihre Aussagen seien taktisch motiviert gewesen, um diplomatische Zugeständnisse zu erreichen. Die Regierung wird seitdem übergangsweise vom früheren Verteidigungsminister Phumtham Wechayachai geführt.

Der lange Schatten der Geschichte

Grenzkonflikte zwischen Thailand und Kambodscha sind kein neues Phänomen. Beide Länder teilen sich eine über 800 Kilometer lange Grenze, deren exakter Verlauf in mehreren Abschnitten umstritten ist. Der Ursprung des Konflikts geht auf eine französische Kolonialkarte aus dem Jahr 1907 zurück, die zur Grenzziehung zwischen dem damaligen französisch kontrollierten Kambodscha und dem unabhängigen Siam (dem heutigen Thailand) verwendet wurde.

Thailand bestreitet die Gültigkeit dieser Karte – Kambodscha hingegen beruft sich bis heute darauf. Besonders erbittert wird seit Jahrzehnten um die Region rund um den 1.000 Jahre alten Preah-Vihear-Tempel gestritten.

1962 sprach der Internationale Gerichtshof (IGH) Kambodscha die Souveränität über den Tempel zu. Thailand erkannte das Urteil nie vollständig an. Immer wieder kam es seither zu gewalttätigen Zusammenstößen – etwa 2011, als mehrere Menschen bei Gefechten starben und tausende Zivilisten fliehen mussten.

2013 bestätigte der Internationale Gerichtshof das Urteil erneut – zugunsten Kambodschas. Auch im aktuellen Streit hat Phnom Penh das Gericht angerufen. Doch Thailand lehnt eine Beteiligung weiterhin ab und zweifelt die Zuständigkeit des IGH an.

Nationalistische Rhetorik verschärft die Lage

Die gegenseitige Eskalation wird auch durch einen wachsenden Nationalismus befeuert – in beiden Ländern. Während in Thailand regierungskritische Stimmen auf eine „zu weiche“ Außenpolitik schimpfen, beschwört die kambodschanische Seite eine historische Gerechtigkeit und kämpft um internationale Anerkennung.

Der ehemalige Premierminister Hun Sen, der inzwischen als Präsident des kambodschanischen Senats tätig ist, bleibt dabei eine zentrale Figur. Er war einst ein enger Verbündeter von Thaksin Shinawatra, dem Vater der suspendierten thailändischen Premierministerin. Doch auch diese persönliche Verbindung scheint unter dem Druck des Territorialstreits zu zerbrechen.

Newsletter abonnieren

Newsletter auswählen:
Abonnieren Sie den täglichen Newsletter des Wochenblitz und erhalten Sie jeden Tag aktuelle Nachrichten und exklusive Inhalte direkt in Ihr Postfach.

Wir schützen Ihre Daten gemäß DSGVO. Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.