Der 29. August 2025 markiert in Thailand einen erneuten Höhepunkt politischer Turbulenzen: Das Verfassungsgericht hat Premierministerin Paetongtarn Shinawatra wegen ethischer Verfehlungen sofort aus dem Amt entlassen – ein weiterer Sturz einer Shinawatra-Figur im anhaltenden Machtkampf zwischen demokratischen Kräften und konservativen Eliten. Ihre umstrittene Telefonaufzeichnung mit dem ehemaligen kambodschanischen Machthaber Hun Sen, die sowohl nationale Souveränität als auch das Ansehen der Regierungsführung in Frage stellte, löste heftige Proteste aus und brachte die bereits schwache Koalition ins Wanken.
Das Urteil: Ethikverstoß oder politisches Kalkül?
Das Gericht befand, dass Paetongtarn während des Gesprächs nicht nur überschwängliche Höflichkeit gegenüber Hun Sen offenbarte, sondern auch einen hochrangigen thailändischen General kritisierte – und damit nationale Interessen untergrub. In einer 6- zu 3-Entscheidung erklärte es, dass die Premierministerin persönliche Bindungen über das Amt gestellt habe und damit die Integrität der Institution beschädigte.
Es ist bemerkenswert, dass diese Entscheidung nicht isoliert ist: Paetongtarn ist nun die fünfte oder sechste Shinawatra-Person, der das Amt aufgrund juristischer oder militärischer Intervention entzogen wurde – eine erschütternde Bilanz für eine politische Dynastie, die in den letzten zwei Jahrzehnten fast ununterbrochen im Zentrum der Macht stand, aber wiederholt durch Obergerichte oder Putsche gestürzt wurde.
Politische Instabilität und Machtvakuum
Bereits im Juli war die Premierministerin suspendiert worden, und ihr Vize Phumtham Wechayachai übernahm interimistisch die Geschäfte. Parallel hatte die Bhumjaithai-Partei, wichtigster Koalitionspartner, ihre Unterstützung zurückgezogen, wodurch die Pheu-Thai-Regierung nur noch eine hauchdünne Mehrheit besaß.
Mit Paetongtarns Rauswurf wird der Kampf um die Nachfolge entbrennt. Laut Berichten sind potenzielle Kandidaten unter anderem Anutin Charnvirakul, ein profilierter, aber umstrittener Gesundheitsminister; der betagte Chaikasem Nitisiri, der nur schwache Rückhalt in der Partei hat; Pirapan Salirathavibhaga, der von Korruptionsvorwürfen belastet ist; und sogar der einstige Militärherrscher Prayuth Chan-o-cha, dessen Rolle jedoch verfassungsrechtlich eingeschränkt wäre.
Die Zukunft der Pheu-Thai-Partei: Wählerzwist oder Weiterbestand?
Für die Pheu-Thai-Partei ist der Schaden enorm. Ihre Destabilisierung durch den Verlust des Premierministerpostens und die Schwächung durch die Austritte macht jede stabile Regierungsbildung zur Herausforderung. Die Krisenmonate zuvor verdeutlichten schon, dass Reformversprechen nur schwer umsetzbar waren – und jetzt ist die Glaubwürdigkeit der Parteiführung erneut in Frage gestellt.
Dennoch könnte Paetongtarns strategischer Rückzug auch eine taktische Neujustierung sein: Durch ihr entschuldigendes Dementi („Verhandlungsstrategie“) wurde Zeit gewonnen, aber nicht genug, um die Eskalation zu verhindern. Ob die Partei sich jetzt neu ordnen und mit einem weniger belasteten Führungsbild wieder Fuß fassen kann – oder von der Opposition überrannt wird – entscheidet sich in den kommenden Wochen.
Außenpolitik als Katalysator für Innenkrise
Der diplomatische Zwischenfall mit Kambodscha, ausgelöst durch die Leaks, war mehr als nur ein Fauxpas: Er entfachte einen bewaffneten Grenzkonflikt, der fünf Tage dauerte, mehrere Dutzend Tote forderte und Hunderttausende zur Flucht zwang. Die Außenpolitik wurde als Schwäche subjektiv erlebt – die Bereitschaft zu Verhandlungen mit einem autoritären Nachbarn, wie dramatisch auch die Lage war, wurde als Vertrauensbruch empfunden. Damit wurde das Pendel der öffentlichen Meinung gegen sie ausgeschlagen.
Rückfall in institutionelle Polarisierung
Thailand ist mit diesem Urteil erneut an einem Scheidepunkt. Entweder die Eliten und Gerichte markieren ihre Vormachtstellung mit einer weiteren juristischen Entscheidung – oder eine neue Öffentlichkeit bewegt sich jenseits der Shinawatra-Dynastie hin zu Reform oder anderen Formaten. Doch bislang hat die juristische Intervention immun gegen populäre Bewegungen gewirkt.
Die jüngsten Umfragen zeigen, dass die heutige People’s Party (ehemals Move Forward Party, MFP), populär unter Reformbefürwortern, zwar durch Gerichtsentscheidungen entmachtet wurde, aber weiterhin eine starke Unterstützerbasis besitzt – ihre Mitglieder dürfen jedoch nicht politisch aktiv bleiben. Diese Zerrissenheit – institutionell autoritär, aber gesellschaftlich reformistisch geprägt – bleibt die zentrale Schwäche thailändischer Demokratie.
Zwischen Dynastie und Erneuerung
Paetongtarns Rauswurf zeigt erneut, dass thailändische Politik in einem institutionellen Rahmen gefangen ist, in dem Gerichte und Militär über demokratische Mandate gesetzt werden. Die Shinawatra-Dynastie wird womöglich weiter existieren, aber diese Entscheidung könnte ihr Ende bedeuten – oder den Beginn einer strategischen Neuausrichtung der Pheu-Thai-Partei unter anderem Namen und neuer Führung.
Doch realistisch ist: Der politische Stillstand, begleitet von schwacher Wirtschaftsentwicklung (Zentralbank-Prognose: ca. 2,3 % Wachstum), und der fortwährende Streit um Reform versus konservative Ordnung, machen Thailand zu einem Pulverfass – in dem sowohl eine liberale Zukunft als auch eine autoritäre Rückkehr möglich sind. Paetongtarns Geschichte ist ein weiteres Kapitel dieser politischen Tragödie – und die Bühne für ein dramatisches Politspiel.



