Liebe Leserinnen und Leser,
es ist nur ein Stück Land. Ein paar Hügel, ein paar Tempel, ein Grenzstein im Dschungel. Aber für einige ist es eine Frage der Ehre. Für andere eine Ausrede für Hass. Und für die Regierenden in Bangkok und Phnom Penh ist es – wie so oft – ein willkommenes Ablenkungsmanöver.
Ich schreibe Ihnen heute nicht aus dem Ministerbüro oder von irgendeinem Gipfeltreffen. Ich schreibe Ihnen aus einem kleinen Straßencafé in Bangkok. Die Sonne brennt, der Eiskaffee ist süß und die Gespräche um mich kreisen um alles Mögliche – den Preis von Schweinefleisch, TikTok-Trends, den Regen. Kein Wort über Truppenbewegungen. Kein Wort über Patriotismus.
Und trotzdem weht an der Hauptstraße plötzlich wieder die Nationalflagge größer als sonst. Schulklassen singen lautstark die Hymne. Und im Fernsehen laufen wieder diese Dokus über „unsere Helden“ von damals – als ob Geschichte nur ein Film sei, der sich endlos wiederholen muss.
Ich frage mich: Was bringt es, einen Nachbarn zu beschimpfen, wenn das eigene Haus brennt?
Thailand und Kambodscha – zwei Länder mit ähnlichen Sorgen: Armut, Korruption, fehlende Perspektiven für junge Menschen. Und was machen die Mächtigen? Sie zünden wieder die alten Fackeln an. Sprechen von „Verteidigung“ und „Stolz“. Dabei geht es doch längst nicht mehr um Stein oder Erde. Es geht um Macht. Um Stimmen. Um das nächste Mandat.
Ich sehe in den Augen der jungen Soldaten, die man an die Grenze schickt, keinen Hass. Ich sehe Angst. Müdigkeit. Und manchmal auch Verachtung für das Spiel, das über ihre Köpfe hinweg gespielt wird.
Und ich frage mich: Wann begreifen wir endlich, dass der wahre Feind nicht hinter dem Grenzpfahl lauert – sondern in der Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen, die von diesem Konflikt wirklich betroffen sind? Die Bauern, deren Felder vermint sind. Die Kinder, deren Schulen leer bleiben. Die Familien, die seit Jahrzehnten auf Versöhnung warten.
Ich wünsche mir keine Nation ohne Stolz. Aber ich wünsche mir eine Politik mit Herz. Und Hirn. Eine, die sich nicht von alten Narben leiten lässt, sondern von dem, was morgen besser sein könnte.
Denn Grenzen trennen Länder. Aber sie müssen nicht unsere Menschlichkeit trennen.
Herzliche Grüße
Ihr
Kilian Borchert