Demokratie am Abgrund
Ein Artikel von Kilian Borchert
BANGKOK – Es ist mehr als nur eine politische Krise: Thailand steht am Rand eines gefährlichen Abgrunds. Der andauernde Streit mit dem Nachbarn Kambodscha über Grenzschließungen, gepaart mit dem innenpolitischen Beben nach der Veröffentlichung eines brisanten Tonbands, treibt das Land an die Grenze eines möglichen Militärputsches – oder gar eines diplomatischen Zusammenbruchs.
Die nächsten Tage und Wochen könnten darüber entscheiden, ob Thailand demokratisch bleibt – oder in autoritäre Verhältnisse zurückfällt.
Die Premierministerin im Kreuzfeuer
Premierministerin Paetongtarn Shinawatra hat sich nach dem Skandal um das geleakte Gespräch mit Ex-Premier Hun Sen in eine Lage manövriert, in der sie kaum noch Handlungsspielraum besitzt. In dem 17-minütigen Audio-Mitschnitt, den Hun Sen selbst veröffentlichte, wirkt sie verunsichert, fast kindlich bittend. „Onkel, hilf mir bitte“, fleht sie – und bezeichnet ausgerechnet Armeechef Lt. Gen. Boonsin Padklang als jemanden „von der Gegenseite“.
Ein politisches Eigentor – und Wasser auf die Mühlen der Ultranationalisten, die seither den sofortigen Rücktritt oder einen Militärputsch fordern.
Der Griff der Armee nach der Grenze
Das wohl Erschreckendste: Die thailändische Regierung scheint keine Kontrolle mehr über ihre Armee im Grenzgebiet zu Kambodscha zu haben. Während Paetongtarn um Schadensbegrenzung bemüht ist, handelt General Boonsin auf eigene Faust. Am Abend des 21. Juni ordnete er die Schließung des Grenzübergangs Sai Taku im Bezirk Ban Kruat (Provinz Buriram) an – offiziell „zur öffentlichen Sicherheit“.
Wenige Stunden später verkündete Kambodschas Premierminister Hun Manet, seinerseits, die dauerhafte Schließung zweier Grenzposten in der Provinz Oddar Meanchey – als Reaktion auf „wiederholte, einseitige Maßnahmen der thailändischen Armee“.
Ein klarer diplomatischer Affront. Und ein Zeichen: Der Dialog ist tot – das Misstrauen regiert.
Handelskrieg auf dem Rücken der Armen
Der Kleinkrieg an den Grenzposten trifft vor allem jene, die am wenigsten Schuld tragen: Bauern, Händler und Arbeiter. Allein auf thailändischer Seite konnten zuletzt 30 Tonnen frischer Früchte nicht ausgeführt werden. Umgekehrt erschwert Thailand die Einfuhr kambodschanischer Produkte wie Tapioka, und auch die Casino-Einnahmen in Kambodscha brechen ein.
„Jede neue Schließung verschärft nur den Schaden auf beiden Seiten“, kommentierte ein kambodschanischer Regierungsberater gestern im Radio.
Proteste und Putschgefahr
Hinzu kommt eine neue Bedrohung: Ultranationalistische Gruppen und Regierungsgegner haben für den 28. Juni den Start einer großangelegten Protestwelle angekündigt – mit unklarem Ende. Die Rede ist von einer „langen Kampagne“, und die Stimmung erinnert bedrohlich an die Zeit vor dem letzten Militärputsch 2014.
Der Ausstieg der Bhumjaithai-Partei aus der Regierungskoalition und das Erstarken der Armee an der Grenze nähren Spekulationen, dass Thailand erneut in die Hände einer außerparlamentarischen Machtübernahme geraten könnte.
Die PM bleibt stur – und isoliert
Trotz aller Rufe nach Rücktritt oder Parlamentsauflösung zeigt sich Paetongtarn kämpferisch. Am 22. Juni erklärte sie erneut, nicht zurückzutreten und das Parlament nicht aufzulösen. Stattdessen arbeitet sie daran, Abgeordnete der Opposition abzuwerben, um ihre Regierung zu stabilisieren. Es wirkt wie ein verzweifelter Akt im letzten Kapitel einer wankenden Administration.
Was jetzt zählt: Die Demokratie retten
Inmitten all der Schuldzuweisungen, nationalistischer Rhetorik und emotionalen Ausbrüche ruft die Stimme der Vernunft zur Besinnung. „Wer Paetongtarn hasst, sollte trotzdem einen kühlen Kopf bewahren“, heißt es sinngemäß in dem Kommentar der Khaosod English. Denn entscheidend sei nicht, ob Paetongtarn überlebt – sondern ob die Demokratie überlebt.
Wenn nationalistische Wut und persönlicher Hass überhandnehmen, öffnen sie jenen die Tür, die das System selbst stürzen wollen.
Statt sich weiter in Schuldfragen zu verbeißen – ob Thailand oder Kambodscha den Streit begonnen hat – müssen beide Seiten die Spirale der Eskalation beenden. Sonst droht Thailand der doppelte Kollaps: außenpolitisch und innenpolitisch.
Demokratie erhalten?????????????? von welchem Land sprechen Sie???????????