Das riskante Leben der illegalen Lehrer
Mark steht vor der Tafel und schreibt das Wort „Vocabulary“ an. Seine Hand zittert leicht, kaum merklich für die dreißig Schüler in ihren strahlend weißen Uniformen, die ihn erwartungsvoll ansehen. Mark ist ein beliebter Lehrer an dieser privaten Schule im Nordosten Thailands.
Er ist pünktlich, engagiert und spricht fließend Englisch. Doch Mark hat ein Problem, das ihn nachts wachhält: In seinem Reisepass klebt kein Non-Immigrant-B-Visum und in seiner Tasche steckt keine Arbeitserlaubnis. Er ist offiziell ein Tourist, der illegal arbeitet. Wenn die Immigrationbehörde heute durch die Tür kommt, endet sein Leben in Thailand innerhalb weniger Stunden.
Ein offenes Geheimnis im Lehrerzimmer
Mark ist kein Einzelfall. Er ist ein Symptom eines Systems, das seit Jahrzehnten auf einer Grauzone balanciert. In Foren und sozialen Netzwerken diskutieren Expats derzeit hitzig über die Anzahl ausländischer Lehrkräfte, die ohne die notwendigen Papiere unterrichten. Die Dunkelziffer ist hoch, und die Realität im Jahr 2025 ist härter geworden als noch vor einem Jahrzehnt.
Während die thailändische Regierung mit dem neuen „Smart Immigration„-System und digitalen Arbeitsgenehmigungen die Schrauben anzieht, bleiben viele Schulen und Lehrer im alten Sumpf aus Bürokratie und Kostendruck stecken.
Das Phänomen ist komplex. Es sind nicht nur Rucksacktouristen, die sich ein paar Baht dazuverdienen wollen. Oft sind es qualifizierte Fachkräfte, die an den Hürden des thailändischen Lehrerrats (Krusapa) scheitern oder von ihren Arbeitgebern hingehalten werden. Die Angst vor Razzien ist ein ständiger Begleiter, doch die wirtschaftliche Notwendigkeit zwingt viele dazu, das Risiko einzugehen.
Die Hürde der Legalität: Mehr als nur ein Stempel
Wer in Thailand legal unterrichten will, muss einen Marathon durch die Instanzen antreten. Der Prozess beginnt idealerweise im Heimatland mit der Beantragung eines Non-Immigrant-B-Visums. Doch hier fangen die Probleme für viele bereits an. Um dieses Visum zu erhalten, benötigt man einen Arbeitsvertrag und ein formelles Einladungsschreiben einer Schule.
Viele Schulen stellen diese Dokumente jedoch erst aus, wenn der Lehrer bereits vor Ort ist und sich in einer Art Probezeit bewiesen hat. Das zwingt den Bewerber, zunächst als Tourist einzureisen – der erste Schritt in die Illegalität.
Fehlende Dokumente
Sobald man im Land ist, beginnt der Kampf um die Arbeitserlaubnis, das sogenannte Work Permit. Im Jahr 2025 hat Thailand das System weitgehend digitalisiert. Das alte blaue Buch weicht zunehmend der E-Work-Permit-App auf dem Smartphone.
Was modern klingt, bedeutet in der Praxis eine lückenlose Überwachung. Jeder Schritt, jeder Arbeitgeberwechsel und jede Standortänderung müssen digital erfasst werden. Für Schulen, die ihre Lehrer bisher unter dem Radar bezahlt haben, um Steuern und Sozialabgaben zu sparen, ist dieses transparente System ein Albtraum.
Die Rolle des Lehrerrats: Krusapa als Nadelöhr
Noch gefürchteter als die Einwanderungsbehörde ist für viele Lehrer der „Teachers Council of Thailand„, kurz Krusapa. Ohne eine Lizenz dieses Rats gibt es keine legale Anstellung als Lehrer. Die Anforderungen wurden in den letzten Jahren massiv verschärft. Ein Bachelor-Abschluss ist das absolute Minimum, doch oft reicht selbst dieser nicht aus, wenn er nicht in einem pädagogischen Fach erworben wurde.
Wer „nur“ einen Abschluss in Geschichte oder BWL hat, muss umfangreiche Zusatzqualifikationen nachweisen. Dazu gehören oft sieben Module umfassende pädagogische Trainings, die Zeit und Geld kosten. Die früher üblichen Ausnahmegenehmigungen, die sogenannten „Waivers„, die es Lehrern erlaubten, bis zu sechs Jahre ohne volle Lizenz zu unterrichten, werden restriktiver vergeben.
Das neue System mit P-Lizenzen und A-Lizenzen sorgt für Verwirrung und Frustration. Viele Schulen scheuen den enormen Papierkrieg, der nötig ist, um einen ausländischen Lehrer zu legalisieren, und bieten stattdessen illegale Arbeitsverhältnisse an. „Fang erst mal an, wir kümmern uns später um das Visum“, ist ein Satz, den fast jeder Lehrer in Thailand schon einmal gehört hat. Oft ist es eine Lüge.
Das wirtschaftliche Kalkül der Schulen
Warum gehen Schulen dieses Risiko ein? Die Antwort ist simpel: Geld. Eine legale ausländische Lehrkraft kostet die Schule nicht nur das Gehalt, sondern auch Gebühren für Visum, Arbeitserlaubnis und Steuern. Zudem sind legal angestellte Lehrer mobiler. Sie können den Job wechseln, wenn ihnen die Bedingungen nicht passen. Ein Lehrer ohne Papiere ist hingegen erpressbar. Er wird sich nicht über unbezahlte Überstunden oder fehlende Krankenversicherung beschweren, denn er kann nicht zur Polizei gehen.
Besonders in ländlichen Gegenden und an kleineren privaten Schulen ist das Budget knapp. Die Eltern zahlen Schulgeld in der Hoffnung, dass ihre Kinder Englisch von einem Muttersprachler lernen. Die Schule muss diesen Bedarf decken, kann aber oft keine Gehälter zahlen, die qualifizierte Lehrer mit vollständigen Papieren anlocken würden.
So entsteht eine Symbiose aus Notwendigkeit und Illegalität. Die Schule bekommt ihren „Farang“ (Ausländer) für das Marketing, und der Lehrer bekommt einen Job, für den er im Westen vielleicht nicht qualifiziert wäre oder der dort nicht verfügbar ist.
Gehälter am Existenzminimum
Die finanzielle Realität für viele dieser Lehrer ist ernüchternd. Während an internationalen Top-Schulen in Bangkok Gehälter von 80.000 bis über 150.000 Thai Baht (ca. 2.190 bis 4.100 Euro) gezahlt werden, sieht es im Rest des Landes anders aus. Das Durchschnittsgehalt für einen Englischlehrer an einer thailändischen Regierungsschule oder einer einfachen Privatschule liegt oft nur zwischen 30.000 und 35.000 Baht. Das entspricht beim aktuellen Wechselkurs etwa 820 bis 960 Euro.
Für thailändische Verhältnisse ist das ein ordentliches Gehalt, doch für einen Ausländer bringt es Probleme mit sich. Versicherungen, Reisen in die Heimat oder Rücklagen für das Alter sind damit kaum finanzierbar. Wer illegal arbeitet, hat zudem oft keinen Anspruch auf die thailändische Sozialversicherung, die zumindest eine medizinische Grundversorgung abdecken würde.
Ein Motorradunfall oder eine schwere Krankheit können so den sofortigen finanziellen Ruin bedeuten. Dennoch akzeptieren Tausende diese Bedingungen, getrieben von der Liebe zum Land, einem Partner vor Ort oder der Flucht vor der Perspektivlosigkeit im Heimatland.
Die psychologische Belastung: Leben im Schatten
Das Leben ohne Arbeitserlaubnis ist psychisch zermürbend. Jede Sichtung eines Polizeiwagens löst einen Adrenalinschub aus. Die Angst vor Verrat ist groß – sei es durch missgünstige Kollegen oder Nachbarn. In den Expat-Foren wird oft gewarnt: „Traue niemandem“. Diese Paranoia vergiftet das soziale Klima. Man spricht nicht offen über seinen Status, man postet keine Fotos aus dem Klassenzimmer auf Facebook, man macht sich unsichtbar.
Hinzu kommt die Abhängigkeit von dubiosen Visa-Agenturen. Da diese Lehrer kein reguläres Arbeitsvisum erhalten, müssen sie andere Wege finden, um im Land zu bleiben. Früher waren die sogenannten „Visa Runs“ an die Grenzen von Laos oder Kambodscha an der Tagesordnung. Heute ist das schwieriger geworden. Die Einwanderungsbeamten zählen die Tage und Stempel im Pass genau nach. Wer zu viele Touristenvisa aneinanderreiht, wird an der Grenze abgewiesen.
Einige weichen auf teure „Elite Visa“ oder das neue „Destination Thailand Visa“ (DTV) aus, sofern sie die finanziellen Mittel nachweisen können. Doch das DTV ist eigentlich für digitale Nomaden gedacht, nicht für Angestellte an einer thailändischen Schule vor Ort. Wer mit einem solchen Visum im Klassenzimmer steht, arbeitet dennoch illegal. Es ist ein teurer Irrtum, der viele in falscher Sicherheit wiegt.
Was passiert, wenn es schiefgeht?
Die Konsequenzen illegaler Arbeit sind in Thailand drastisch und gesetzlich klar geregelt. Wird ein Ausländer ohne Arbeitserlaubnis erwischt, droht eine Geldstrafe zwischen 5.000 und 50.000 Baht (ca. 135 bis 1.370 Euro). Doch das ist nur der Anfang. Die Deportation ist fast unausweichlich. Vor der Abschiebung droht oft ein Aufenthalt im berüchtigten Immigration Detention Centre (IDC) in Bangkok. Die Zustände dort sind gefürchtet: überfüllte Zellen, schlechte Hygiene, ungewisse Aufenthaltsdauer.
Nach der Abschiebung folgt der Eintrag auf die „Blacklist„. Je nach Schwere des Vergehens und Dauer des illegalen Aufenthalts darf die Person für ein, fünf oder zehn Jahre nicht mehr nach Thailand einreisen. Für jemanden, der hier sein Leben aufgebaut hat, Freunde oder sogar Familie hat, kommt das einem sozialen Todesurteil gleich.
Auch der Arbeitgeber kommt nicht ungeschoren davon. Schulen müssen mit Strafen von bis zu 100.000 Baht (ca. 2.740 Euro) pro illegalem Arbeitnehmer rechnen. Dennoch kalkulieren viele Betreiber dieses Risiko ein, da Kontrollen oft nur sporadisch oder nach konkreten Hinweisen stattfinden.
Die Situation 2025: Technologie gegen Trickserei
Im Jahr 2025 hat sich das Katz-und-Maus-Spiel verändert. Die thailändischen Behörden setzen verstärkt auf Technologie. Biometrische Daten werden bei jeder Ein- und Ausreise erfasst. Die Vernetzung zwischen dem Arbeitsministerium, der Einwanderungsbehörde und den Steuerbehörden nimmt zu. Es wird immer schwieriger, durch das Raster zu fallen.
Gleichzeitig wächst der Druck auf das Bildungssystem. Thailand will ein Hub für internationale Bildung werden. Das passt nicht zu dem Bild von Rucksacktouristen, die ohne Qualifikation unterrichten. Eltern werden anspruchsvoller und fordern qualifizierte Lehrer. Das führt zu einer Zweiklassengesellschaft: Auf der einen Seite die hochqualifizierten, legalen Lehrer an teuren Schulen, auf der anderen Seite die schlecht bezahlten, oft illegalen Kräfte, die das System am Laufen halten.
Ein Ausweg aus der Misere?
Gibt es Hoffnung auf Besserung? Experten fordern seit langem eine Vereinfachung der Visa-Prozesse für Lehrer. Die bürokratischen Hürden stehen oft in keinem Verhältnis zum Einkommen und Nutzen. Ein einfacheres Verfahren würde vielen Schulen helfen, ihre Angestellten zu legalisieren. Doch solange die nationale Sicherheit und der Schutz des heimischen Arbeitsmarktes oberste Priorität haben, dürften Erleichterungen auf sich warten lassen.
Für Lehrer wie Mark bleibt oft nur die Flucht nach vorn: Die Qualifikationen nachholen, einen Master-Abschluss machen oder in ein anderes Land ziehen, wo Lehrer gesucht und die bürokratischen Wege kürzer sind, wie etwa Vietnam oder China. Oder sie hoffen weiter darauf, dass der Tag der Kontrolle nie kommt.
Warum das System nicht kollabiert
Man muss sich fragen, warum dieses System trotz aller Risiken und Illegalität so stabil ist. Es ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. Es gibt immer noch genügend Westler, die vom Traum eines Lebens unter Palmen fasziniert sind und bereit sind, dafür ihre berufliche Sicherheit zu opfern. Und es gibt Millionen thailändischer Schüler, die Englisch lernen müssen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Das staatliche Bildungssystem kann diesen Bedarf allein mit thailändischen Lehrern nicht decken.
Die Illegalität fungiert hier als ein Puffer. Sie ermöglicht es Schulen, Unterricht anzubieten, den sie sich zu regulären Marktpreisen und unter Einhaltung aller Gesetze nicht leisten könnten. Die Behörden wissen das vermutlich. Razzien dienen oft eher der Abschreckung oder sind politisch motiviert, als dass sie das Ziel hätten, das System vollständig zu bereinigen. Würde man morgen alle illegalen Lehrer ausweisen, bräche der Englischunterricht in vielen Provinzen zusammen.
Die Zukunft der ausländischen Lehrer
Die Zukunft wird professioneller und digitaler. Wer als Lehrer in Thailand langfristig überleben will, muss sich anpassen. Die Zeiten, in denen man mit einem Lächeln und einem westlichen Aussehen einen Job bekam, sind vorbei. Abschlüsse müssen echt, legalisiert und anerkannt sein. Die digitale Erfassung macht das Schummeln fast unmöglich.
Es ist zu erwarten, dass die Schere weiter auseinandergeht. Die Zahl der illegalen Lehrer könnte sinken, nicht weil die Schulen mehr zahlen, sondern weil die Einreise und der langfristige Aufenthalt für „Touristen“ immer schwieriger werden.
Wer nicht die richtigen Papiere vorweisen kann, kommt gar nicht mehr erst so weit, sich vor eine Klasse zu stellen. Für die Bildung in Thailand wäre das ein zweischneidiges Schwert: Mehr Qualität durch bessere Kontrolle, aber auch ein akuter Lehrermangel in den ärmeren Regionen.
Aufklärung des Sachverhalts
Zurück zu dem Thema, das in den Foren diskutiert wird: Die genaue Anzahl der illegalen Lehrer lässt sich naturgemäß nicht statistisch erfassen. Aber die Indikatoren sind eindeutig. Die Diskrepanz zwischen der Anzahl der gemeldeten ausländischen Lehrkräfte beim Bildungsministerium und der Anzahl der ausgestellten Work Permits beim Arbeitsministerium deutet auf eine signifikante Lücke hin. Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Defizit im thailändischen Bildungssektor.
Die Diskussion in Online-Communitys spiegelt die Angst und Unsicherheit wider, die durch neue Visaregeln entstehen. Viele, die jahrelang unbemerkt arbeiten konnten, spüren, dass die Einschläge näher kommen. Die Botschaft ist klar: Thailand ist gastfreundlich, aber der Arbeitsmarkt ist kein rechtsfreier Raum mehr. Wer heute noch ohne Papiere unterrichtet, spielt Roulette mit seiner Zukunft. Der Einsatz ist hoch, und die Bank – in diesem Fall die thailändische Immigration – gewinnt am Ende fast immer.
Anmerkung der Redaktion:
Dieser Artikel dient der Information über die aktuelle Gesetzeslage und gesellschaftliche Situation in Thailand (Stand 2025). Er stellt keine Rechtsberatung dar. Wir raten dringend davon ab, ohne gültige Arbeitserlaubnis in Thailand tätig zu werden. Verstöße gegen das thailändische Arbeits- und Einwanderungsrecht werden strafrechtlich verfolgt.



