„Machen Sie keine Fotos“: Abiturient dokumentiert Tierleid in Thailand und China

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Fotoreise mit Nebenwirkung: Wie ein Hasberger Abiturient Tierleid in Südostasien dokumentierte

Mit der Kamera in der Hand durch Asien reisen – das klingt nach Abenteuer und Fernweh. Doch für den jungen Fotografen Lion Schlenter aus Hasbergen wurde diese Reise zu einer Begegnung mit einer anderen Realität. Auf Tiermärkten in Thailand und China dokumentierte er Zustände, die viele lieber nicht sehen wollen. Seine Bilder erzählen von Enge, Schmerz und einer Industrie, die sich dem westlichen Blick meist entzieht.

Die Geschichte erschien zuerst in der Osnabrücker Zeitung – und verdient es, darüber hinaus Beachtung zu finden.

Zwischen Fernweh und Verantwortung: Eine ungewöhnliche Idee nach dem Abi

Es ist eine Geschichte, wie sie selten beginnt: Abitur 2023 in der Tasche, dann der Aufbruch mit Freunden nach Australien und später nach Südostasien. Während viele Gleichaltrige sich durch Hostels und Strände treiben lassen, verfolgt Lion eine andere Idee. Die Reisegruppe trennt sich – und Lion bleibt mit Kamera und Tatendrang zurück.

Zunächst sei offen gewesen, worüber er fotografieren wolle: Obdachlosigkeit, Alltag, Kontraste. Doch dann fiel ihm das Werk eines australischen Fotografen in die Hände: „Trading to Extinction“ von Patrick Brown – eine bildgewaltige Anklage gegen den illegalen Wildtierhandel in Asien. Lion wollte nicht kopieren. Aber hinsehen. Und selbst verstehen.

Märkte in Bangkok und Guangzhou: Reizüberflutung mit Geruch, Lärm und Leid

Was ihn auf den Tiermärkten erwartete, hatte mit touristischer Exotik wenig zu tun. Enge Käfige, lautstark feilschende Menschen, der Geruch von Tierkadavern und Schweiß – eine Szenerie, die sich ins Gedächtnis brennt. Zwei Monate war Lion unterwegs, im April und Mai 2024, mit der festen Idee, so nah wie möglich ans Geschehen heranzugehen.

Mit seinem Weitwinkelobjektiv, das Nähe erzwingt, hält er Szenen fest, die schockieren: Papageien auf Zeitungsstapeln, bunt lackierte Schildkröten als Kinderspielzeug, zusammengepferchte Hundewelpen mit dekorativen Schleifen im Fell. Hinter jedem Bild steht die stille Frage: Wo hört Kultur auf – und wo beginnt Verantwortung?

„Machen Sie keine Fotos“ – ein Projektname mit doppeltem Boden

In einem Hinterhof von Guangzhou wird Lion mehrmals von Arbeitern verscheucht. Dort, wo Krokodile getötet und gehäutet werden, reagiert man auf seine Kamera zunehmend aggressiv. Schließlich rufen ihm die Männer auf Chinesisch hinterher: „不要拍 – Machen Sie keine Fotos“. Der Satz wird zum Titel seines Projekts – und zur Klammer für eine ganze Serie von Aufnahmen, die genau das Gegenteil tun.

Seine Haltung bleibt reflektiert: Lion möchte nicht anklagen, sondern dokumentieren. Keine simplen Gegensätze zwischen „gut“ und „böse“, keine moralische Überhöhung. „Ich wollte ein Bewusstsein schaffen, nicht urteilen“, sagt er.

Das Titelbild von Lions Fotoprojekt „Machen Sie keine Fotos“ entstand in einem Hinterhof in Guangzhou. Hier wurden Krokodile getötet und gehäutet. Foto: Lion Schlenter

Näher dran geht nicht: Stil und Risiko

Das Weitwinkel zwingt ihn ins Gedränge, in den Geruch, in die Reaktion. „Aus sicherer Entfernung hätten die Bilder nicht ihre Wirkung“, sagt er. Der Stil ist journalistisch, fast konfrontativ – aber nicht aggressiv. Die Kamera wirkt in seinen Händen wie ein stiller Dolmetscher für das Unsagbare.

Zugleich stellt er sich selbst kritische Fragen: Wer trägt die Verantwortung für das System? Die Verkäufer, die Tiere anbieten? Die Kunden, die sie kaufen? Oder die globalen Handelsstrukturen, in denen Profit vor Moral geht?

Vom Hobby zur Aussage: Die Entwicklung eines Fotografen

Lion Schlenter fotografiert seit seinem zehnten Lebensjahr. Mit 18 meldete er sein Kleingewerbe an, mit 19 folgte die Arbeit beim Wach Studio, einer jungen Film- und Fotoproduktionsfirma. Heute absolviert er dort seine Ausbildung zum Kaufmann für Marketingkommunikation – der Fotografie ist er treu geblieben, aber mit wachsendem Anspruch.

Für sein Projekt arbeitete er analog. Die Negative entwickelte und scannte er selbst, digitalisierte die Bilder, wählte mit Bedacht aus. Am Ende entstand ein Bildband mit Tagebuchzitaten – kein Skandalwerk, sondern ein stilles Zeitdokument. Im Mai 2025 stellte er seine Arbeiten erstmals öffentlich aus.

Tierleid, das niemand sehen will – aber gesehen werden muss

Ob seine Bilder etwas ändern? Das glaubt Lion nicht. Doch das ist auch nicht sein Anspruch. Er will erzählen – und zeigen. Seine Reise wurde zu einer Begegnung mit einer Welt, die in keinem Katalog auftaucht. Das Ergebnis: ein Projekt zwischen Kunst und Reportage, zwischen Mitgefühl und Analyse.

Und vielleicht ist es gerade diese Haltung, die seinem Werk jene Tiefe verleiht, die es braucht – in einer Zeit, in der viele lieber wegsehen.

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