Fenster nach Norden – Mit dem Zug von Bangkok nach Udon Thani

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Es war kurz nach sechs, als ich am Hauptbahnhof Hua Lamphong in Bangkok stand, mit einem Becher lauwarmem Kaffee in der einen Hand und meinem kleinen Rucksack in der anderen. Noch nicht richtig wach, aber auch nicht mehr müde – dieser Zwischenzustand, den man manchmal morgens hat, wenn man zu früh los muss, aber weiß, dass es sich irgendwie lohnen wird. Ich hatte mir ein Ticket für den Tageszug nach Udon Thani besorgt. Dritte Klasse, Ventilator, Fenster zum Runterschieben. Ich wollte das echte Thailand sehen. Nicht nur irgendwo ankommen, sondern unterwegs sein. Und wenn man das will, dann nimmt man den Zug.

Abfahrt Bangkok – Das Brummen der Stadt im Rücken

Der Zug ratterte langsam aus Bangkok heraus. Die Hochhäuser verschwanden allmählich hinter flimmernden Werbetafeln und Blechdächern, die Stadt zerfaserte in schmale Gassen, bunte Märkte, graue Mauern. Ich saß am Fenster, das ich gleich runtergeschoben hatte. Die Luft war warm, feucht, roch nach Abgasen und gebratenem Fleisch. Neben mir eine thailändische Mutter mit ihrem kleinen Sohn, der die ganze Zeit an einer Plastiktüte mit Mango-Stückchen lutschte. Wir nickten uns zu, kein Wort, aber einverstanden.

Noch in der Nähe von Bangkok ziehen sich Hütten und Autowerkstätten entlang der Gleise, Werkzeuge liegen draußen rum, Männer in Shorts beugen sich über Motorhauben. Ein Hund döst im Schatten eines Strommastes. Ich denke daran, wie viele Leute hier leben. Eng an eng, heiß, laut – aber auch irgendwie lebendig.

Ayutthaya – Ruinen, Palmen, Motorräder

Nach gut einer Stunde hält der Zug in Ayutthaya. Ich lehne mich weit aus dem Fenster, sehe zerfallene Mauern und alte Backstein-Stupas zwischen den Bäumen. Der Bahnsteig ist niedrig, die Leute steigen fast direkt auf die Gleise. Ein Mönch in orangefarbener Robe läuft vorbei, barfuß, mit einem kleinen Beutel in der Hand. Ein alter Mann verkauft gekochte Eier aus einem Korb, den er vor sich herträgt. Der Zug steht vielleicht fünf Minuten, dann ertönt das kurze Pfeifen des Schaffners, und es geht weiter.

Die Landschaft öffnet sich langsam. Die ersten Reisfelder tauchen auf, sattgrün und flach bis zum Horizont. Ich sehe einen Wasserbüffel, der mit halbem Körper im Schlamm steht. Der Zug rattert weiter, nicht schnell, aber gleichmäßig. Es ist ein beruhigendes Geräusch. So ein tiefes, gleichmäßiges Tuckern, als würde jemand ruhig atmen.

Saraburi – Zuckerrohr und LKWs

Der nächste größere Halt ist Saraburi. Industriegebiet. Viel Beton, LKWs, Container. Aber auch kleine Verkaufsstände mit Früchten, Getränken, in Plastik verpackten Klebreisportionen. Ich steige nicht aus, aber beobachte, wie eine junge Frau mit einem riesigen Sack voller Kissen einsteigt. Sie lässt sich gegenüber von mir nieder, setzt sich schwer, als hätte sie einen langen Tag hinter sich. Wir nicken uns zu. Wieder kein Gespräch, aber so ein stilles Einverständnis – wir sind beide auf Reise.

Hinter Saraburi verändert sich die Landschaft. Es wird trockener. Weniger Palmen, mehr Büsche, kleine Wälder. Ich erinnere mich an eine Fahrt vor Jahren, mit dem Motorrad durch den Isaan. Ich war jünger, natürlich, und hatte Rückenprobleme, aber auch dieses Gefühl von Weite und Freiheit. Heute ist das langsamer, aber vielleicht ehrlicher. Keine Kurven, kein Gasgeben, nur Gleise und Zeit.

Nakhon Ratchasima (Korat) – Das Tor zum Isaan

Als wir in Korat ankommen, ist es schon später Vormittag. Die Sonne steht hoch, grell, fast weiß. Der Bahnhof ist größer, mehr los. Kinder rennen zwischen den Beinen der Wartenden herum, ein älterer Herr mit Uniform verkauft kalten Kaffee aus einer Styroporbox. Ich steige aus, hole mir eine Flasche Wasser. Es ist trocken hier, staubig. Korat gilt als Tor zum Isaan, und man merkt es sofort – die Leute sprechen anders, härter, lauter. Ich verstehe kaum ein Wort, obwohl ich einige Brocken Thai kann.

Zurück im Zug beginnt die Stimmung zu kippen. Es wird ruhiger, die Gespräche verstummen. Viele dösen vor sich hin. Ich auch ein bisschen. Die Sitze sind hart, aber man gewöhnt sich dran. Ich schaue aus dem Fenster – die Landschaft flimmert. Kleine Dörfer ziehen vorbei. Häuser auf Stelzen, Kinder winken. Ich winke zurück. Manchmal liegt ein verrosteter Mähdrescher auf dem Feld, ein Mahnmal der Moderne. Einmal sehe ich einen Mann mit nacktem Oberkörper und Strohhut, der Wasser aus einem Eimer auf seine Gemüsebeete schüttet.

Bua Yai – Stille, Licht und Maisfelder

Kurz vor Bua Yai wird es ganz still im Abteil. Nur der Ventilator surrt, die Räder klackern über die Schienen. Draußen Maisfelder, soweit das Auge reicht. Die Farbe wechselt – von grün zu gelb zu bräunlich. Es ist Erntezeit. Zwei Jungen schleppen Säcke über ein Feld, lachen dabei. Ich frage mich, wie alt sie sind. Zehn? Zwölf? Vielleicht jünger. Ich denke an meine Tochter in Deutschland. Sie ist jetzt 18. Erwachsen irgendwie. Und doch noch so klein in meinem Kopf.

Im Zug steigen neue Fahrgäste ein – ein Mönch, ein junges Pärchen, zwei ältere Frauen mit karierten Tüchern über den Schultern. Die eine bietet mir etwas an, gebackene Bananen. Ich nehme zwei, bedanke mich mit einem Lächeln. Sie lachen, zeigen mit dem Finger auf meine verschwitzte Stirn. „Farang ron mak!“ – Der Ausländer schwitzt. Ja, stimmt. Es ist heiß. Aber ich bin nicht unglücklich.

Khon Kaen – Moderne trifft Provinz

Khon Kaen überrascht mich. Der Bahnhof ist modern, fast schon europäisch. Glatte Fliesen, LED-Anzeigen, Sicherheitskräfte mit Westen. Aber gleich dahinter wieder das Chaos: Tuktuks, Essensstände, Motorräder mit Beiwagen. Ein Junge verkauft Wasser aus einem Styroporkasten, ruft ununterbrochen „Nam yen! Nam yen!“. Kaltes Wasser.

Ich bleibe sitzen. Will nichts verpassen. Draußen sehe ich ein paar Hochhäuser, dann wieder Wellblechdächer. Thailand ist so – nie nur eine Sache. Immer beides. Arm und reich. Neu und alt. Lärm und Stille.

Im Zug setzt sich ein älterer Thai neben mich. Schwarze Haare, gegerbtes Gesicht. Er spricht ein paar Brocken Englisch, fragt mich, wo ich hinfahre. „Udon“, sage ich. Er nickt. „Family?“ – „Nein, just travel.“ Er lächelt. „Good. You see Thailand. Not only beach.“ Und dann erzählt er mir, dass er früher Busfahrer war. Fünf Kinder. Zwei in Bangkok, einer in Chiang Mai, zwei hier in der Gegend. Ich verstehe nicht alles, aber genug. Er wirkt zufrieden. Er streicht sich über die Stirn und sagt irgendwann: „Train good. Slow, but heart happy.“ Und ich nicke.

Nam Phong – Es wird langsam Abend

Die Sonne steht tiefer, das Licht wird goldener. In Nam Phong steigen nur ein paar Leute ein. Ein Mann mit einer Gitarre, der später vorne im Abteil kurz spielt, leise, schief, aber schön. Die Musik bleibt hängen. Draußen ist die Landschaft weiter geworden. Mehr Himmel, weniger Bäume. Ich denke an Deutschland. An graue Nachmittage, an Pendlerzüge mit genervten Gesichtern. Und dann sehe ich hier eine Frau in buntem Pyjama, die auf einer Holzbank sitzt und mir zuwinkt. Ohne Grund. Einfach so. Und ich winke zurück, lächle – ohne Grund.

Letzte Strecke – Licht, Müdigkeit, Gedanken

Die letzte Stunde zieht sich. Der Zug ist müde geworden, die Menschen auch. Einige schlafen, andere schauen stumm aus dem Fenster. Ich auch. Ich denke an die Zeit, die vergeht. An das Älterwerden. An das Gefühl, nicht mehr ständig was beweisen zu müssen. Vielleicht ist das das Gute am Alter: Man muss nicht mehr gewinnen. Nur noch ankommen.

Ankunft in Udon Thani – Licht in der Dunkelheit

Udon Thani. Endstation. Es ist fast dunkel, der Himmel noch lila, aber schon Nacht in den Straßen. Der Bahnhof ist einfach, ein bisschen chaotisch, aber freundlich. Ich steige aus, mein Rücken tut weh, mein Hemd ist durchgeschwitzt. Aber ich bin ruhig. Zufrieden. Irgendwo ruft jemand meinen Namen, aber es ist nur der Wind. Ich gehe langsam die Treppen runter, Richtung Ausgang. Die Luft riecht nach Staub, gebratenem Fisch und Benzin.

Ich habe nichts Besonderes erlebt auf dieser Fahrt. Keine Abenteuer, keine Dramen. Aber ich habe etwas gesehen. Gesehen und gefühlt. Und das reicht manchmal. Mehr als genug.


Der Zug nach Udon war langsam, heiß und ehrlich. So wie das Leben manchmal ist, wenn man ihm nicht davonläuft.

Bericht ist noch aus dem Jahre 2024 – vielen Dank an den Autor

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