Habeck: "Ich habe meine eigene Duschzeit noch einmal deutlich verkürzt" - Gedämpfte Straßenbeleuchtung, kürzeres Duschen
Sa., 23. Juli 2022

Berlin/Augsburg — Die Sommernächte in der wohlhabenden bayerischen Stadt Augsburg sind in diesem Jahr unheimlich dunkel und still: Die Fassaden historischer Gebäude sind nicht beleuchtet, die Straßenbeleuchtung ist gedimmt und die meisten Brunnen sind nicht in Betrieb.
Augsburg ist eine von vielen Städten in Deutschland, die seit Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine, der die Öl- und Gaspreise in die Höhe schnellen ließ und eine Krise der Lebenshaltungskosten auslöste, eine Reihe von Energiesparmaßnahmen ergriffen haben. weiterlesen
In ganz Europa suchen die Länder nach Möglichkeiten, den Energieverbrauch zu senken und ihre Gasvorräte aufzufüllen, um auf die geringeren russischen Gaslieferungen zu reagieren und sich auf eine mögliche vollständige Abschaltung vorzubereiten. lesen Sie mehr
Deutschland, als eines der am stärksten von russischem Gas abhängigen Länder, geht mit einer landesweiten Kampagne zum Gassparen voran, damit die größte europäische Volkswirtschaft mit genügend Gas über den Winter kommt.
Die Augsburger Bürgermeisterin Eva Weber sagte gegenüber Reuters, dass die Energierechnungen der Stadt in diesem Jahr voraussichtlich fast doppelt so hoch ausfallen werden wie im vergangenen Jahr, als die Kosten bei rund 15,9 Millionen Euro lagen.
“Wir wollen den Augsburger Bürgern zeigen, dass uns wirklich harte Zeiten bevorstehen könnten… wir müssen alle darauf achten, wirklich Energie zu sparen”, sagte Weber.
Die Stadt hat auch die Temperatur in ihren öffentlichen Bädern gesenkt und prüft, welche Ampeln sie abschalten kann. Wie andere Städte auch will sie die Heizung in öffentlichen Gebäuden einschränken.
Rund die Hälfte der deutschen Haushalte heizt mit Gas, und etwa 13 % des Stroms werden aus diesem fossilen Brennstoff gewonnen. Auch in der Industrie wird ein Drittel der Energie aus Gas gewonnen. In den letzten Jahren kam die Hälfte dieses Gases aus Russland.
Das deutsche Wirtschaftsministerium ist bestrebt, seine Gaskavernen vor dem Winter zu füllen, wenn die Nachfrage typischerweise stark ansteigt, damit es mit diesen und neuen alternativen Gasquellen wie schwimmenden Flüssiggas-Terminals auskommen kann.
Jedes Gas, das jetzt eingespart wird, kann dazu beitragen, das Ziel zu erreichen, sagt die Regierung. Aus diesem Grund reaktiviert sie kohlebefeuerte Kraftwerke und will ein Gasauktionsmodell einführen, um industrielle Verbraucher zum Gassparen zu bewegen.
Das Wirtschaftsministerium hat im letzten Monat auch eine Kampagne gestartet, in der die Bürger aufgefordert werden, kürzer zu duschen, die Temperatur ihres Kühlschranks um 1 Grad zu erhöhen und ihre Wohnung besser zu isolieren.
“Ich habe meine eigene Duschzeit noch einmal deutlich verkürzt”, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck, ein Grüner, der am Donnerstag weitere verbindliche Maßnahmen ankündigte, darunter ein Verbot, Swimmingpools in Privathäusern zu beheizen. mehr lesen
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Preiserhöhungen um das bis zu Zehnfache für neue Endverbraucher hätten bereits Anreize zum Energiesparen gesetzt, sagte Thorsten Lenck vom Think Tank Agora Energiewende. Diejenigen, die noch alte Ein- oder Zwei-Jahres-Verträge haben, bekommen das allerdings noch nicht zu spüren.
Menschen gehen in der Nähe des unbeleuchteten Rathauses in Augsburg, Deutschland, am 21. Juli 2022. Die süddeutsche Stadt Augsburg verpflichtet sich, Energie zu sparen, indem sie auf die nächtliche Beleuchtung von Sehenswürdigkeiten, die Beheizung öffentlicher Schwimmbäder und die Überhitzung öffentlicher Gebäude verzichtet REUTERS/Lukas Barth
Private Vermieter machen sich Sorgen über die exorbitanten Jahresendrechnungen für zusätzliche Energiekosten, die auf die Mieter zukommen und die sie sich möglicherweise nicht leisten können. So hat Deutschlands größter Wohnungsvermieter Vonovia (VNAn.DE) angekündigt, die Heizung für die Mieter in vielen seiner Wohnungen nachts zu reduzieren.
"Wir sind auf dem Weg, genug Energie zu sparen, aber wir sind noch nicht am Ziel", sagte Lenck.
In den ersten fünf Monaten des Jahres lag der Gasverbrauch temperaturbereinigt um 6,4 % niedriger, im Mai sogar um 10,8 %, so der Bundesverband der Deutschen Energiewirtschaft (BDEW).
Die Europäische Union hat den Mitgliedstaaten am Mittwoch mitgeteilt, dass sie den Gasverbrauch bis März um 15 % senken müssen. mehr lesen
Aber das ist ein Durchschnittswert - Deutschland muss seinen Verbrauch um 30 % senken, da es auf Gas angewiesen ist, sagte Simone Tagliapietra, Senior Fellow beim Think-Tank Bruegel.
"Die Politiker verlangen nicht gerne von den Menschen Opfer, und sie haben dies verschoben, weil sie immer noch glauben wollten, dass Russland nicht zu viel mit dem Gas spielt", sagte er. "Aber jetzt müssen sie es tun ... sonst muss Europa einfach Fabriken schließen, weil es die Gasversorgung der Familien nicht einschränken kann.
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Der deutsche Notfallplan sieht vor, dass Haushalte und kritische Einrichtungen wie Krankenhäuser vorrangig mit Gas versorgt werden, während die Industrie als erstes von Rationierungen betroffen wäre.
Dennoch decken sich in ganz Deutschland nervöse Bürger mit Holz für Kamine oder Elektroheizungen ein, um auf die steigenden Preise zu reagieren und sich für den schlimmsten Fall vorzubereiten, wenn die Temperaturen im Winter auf bis zu -20 Grad fallen.
"Die Nachfrage nach Holz ist um 100 % gestiegen", sagt Olesja Breuer. "Unsere Lieferzeiten haben sich von zwei Wochen auf zwei Monate verlängert".
Die Baumarktkette Hornbach, die 98 Filialen in Deutschland betreibt, berichtet, dass der Verkauf verschiedener Arten von Brennstoffen und Heizgeräten sowie von Isoliermaterial und Solarmodulen im vergangenen November und erneut nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine in die Höhe geschossen ist.
"Dies ist zum einen auf die steigenden Energiepreise zurückzuführen ... und zum anderen auf den Wunsch der Kunden, autonom und für Notfälle gerüstet zu sein", sagte Sprecher Florian Preuss und wies darauf hin, dass sich die Verbraucher in anderen europäischen Märkten nicht so verhalten.
Einige Städte planen die Eröffnung von Wärmestuben, in denen Obdachlose oder Menschen, die sich keine Heizung leisten können, der Winterkälte entfliehen können.
"Wir haben eine Energiekrise, die wir als Gesellschaft lösen müssen", sagte Christoph Kleine-Vennekate aus Augsburg. "Und wenn es dabei um so unwichtige Dinge wie die Beleuchtung von Gebäuden geht, können wir das leicht schaffen."