Ein toter Soldat, alte Feindbilder – und neue Putschgefahr
BANGKOK – Ein bewaffneter Zwischenfall an der Grenze zu Kambodscha hat Thailand erneut in einen Strudel aus Angst, Nationalismus und politischer Unsicherheit gestürzt. Bei dem Schusswechsel kam ein 48-jähriger kambodschanischer Soldat ums Leben – ein einzelner Schuss, der nun ein ganzes Land ins Wanken bringen könnte.
Während Premierministerin Paetongtarn Shinawatra auf Deeskalation setzt, wittern militante Nationalisten ihre Chance: Sie werfen der Regierung vor, die nationale Souveränität zu verraten – ein altbekanntes Narrativ, das in der thailändischen Geschichte bereits zwei Putsche legitimierte.
Nationalisten wittern Verrat – und nutzen die Krise
Die thailändische Premierministerin bemühte sich in den Tagen nach dem Zwischenfall um diplomatische Lösungen. Doch nationalistische Kräfte innerhalb des Landes, darunter auch Mitglieder der einst mächtigen Yellow Shirt-Bewegung, nutzen die Situation, um Paetongtarns Regierung als schwach und „verräterisch“ zu brandmarken.
„Sie verkauft unser Land an Kambodscha“, ist in nationalistischen Foren zu lesen. Wieder einmal steht der Name Shinawatra im Zentrum der Angriffe – genau wie 2006 und 2014, als die Vorgängerregierungen unter Thaksin und Yingluck Shinawatra gestürzt wurden.
Ein gefährliches Déjà-vu:
Der Tempel als Zündstoff
Schon 2006 wurde Thaksin Shinawatra unter anderem wegen angeblicher Zugeständnisse an Kambodscha rund um den Preah-Vihear-Tempel gestürzt – ein antiker Angkor-Schrein, der seit Jahrzehnten im Zentrum des Grenzstreits steht. Als der Internationale Gerichtshof 2013 zugunsten Kambodschas entschied, brach in Thailand ein Sturm der Empörung los.
Jetzt, unter Paetongtarn, ist es erneut dieser heikle Grenzverlauf, der das Feuer schürt. Und erneut flammen Gerüchte auf, Teile des Militärs würden den Vorfall nutzen, um eine neue Regierungskrise zu provozieren – mit möglicherweise dramatischen Folgen.
Die Armee im Zwielicht:
Zufall oder kalkulierte Eskalation?
Offiziell gibt die thailändische Armee Kambodscha die Schuld: Die kambodschanischen Truppen hätten ein umstrittenes Gebiet betreten und auf thailändische Soldaten geschossen. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Gerüchte verdichten sich, dass militärische Hardliner innerhalb Thailands den Zwischenfall bewusst herbeigeführt haben könnten – ein gefährliches Spiel, das Erinnerungen an frühere Staatsstreiche weckt. „Das riecht nach einer geplanten Provokation“, so ein anonymer Politikwissenschaftler gegenüber lokalen Medien.
Kritik an Paetongtarn:
Unerfahren, schwach, vom Vater gesteuert?
Die junge Premierministerin steht ohnehin unter Dauerbeschuss. Als Tochter des umstrittenen Thaksin Shinawatra gilt sie vielen als Marionette ihres Vaters. Ältere Politiker werfen ihr „mangelnde Erfahrung und fehlendes Durchsetzungsvermögen“ vor. Nun wächst die Kritik, sie würde sich vom kambodschanischen Premierminister Hun Manet, Sohn des langjährigen Regierungschefs Hun Sen, „einlullen lassen“.
Besonders heftig diskutiert wird das Memorandum von 2001, das eine Zusammenarbeit bei maritimen Grenzfragen regelt – Kritiker sehen darin ein „Verschenken“ thailändischer Hoheitsgebiete, insbesondere im Umfeld der beliebten Touristeninsel Koh Kood.
Die nächste Krise vor Gericht?
Als wäre das diplomatische Pulverfass nicht brisant genug, plant Kambodscha laut offiziellen Berichten, vier besonders sensible Grenzgebiete dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) vorzulegen. Thailand hingegen betont, die Zuständigkeit des Gerichts „nicht anzuerkennen“.
Doch sollte es zu einem Richterspruch kommen, wären die Thailänder völkerrechtlich zur Umsetzung verpflichtet. Nationalistische Gruppen laufen bereits jetzt Sturm und werfen Paetongtarn vor, sie werde „erneut Land verschenken“, wie einst ihr Vater – ein Vorwurf, der in der Vergangenheit bereits Putsche legitimierte.
Die Regierung ringt um Kontrolle – doch die Zeichen stehen auf Sturm
Paetongtarn bemüht sich derweil um Schadensbegrenzung. Sie hat das Außenministerium beauftragt, die Kommunikation mit Kambodscha zu übernehmen, und betont öffentlich, „kein einziges Stück thailändischen Landes“ werde verloren gehen. Am 14. Juni trifft sich die gemeinsame Grenzkommission (JBC) in Phnom Penh.
Doch die politische Lage bleibt angespannt. Demonstrationen der People’s Democratic Reform Committee (PDRC), angeführt von Pichit Chaimongkol, gewinnen an Zulauf. Die Proteste richten sich direkt gegen Paetongtarn und Verteidigungsminister Phumtham Wechayachai – wegen angeblicher „Schwäche und Feigheit“ im Umgang mit Kambodscha.
Ein möglicher Weg aus der Krise wäre eine diplomatische Einigung – doch bei dem aktuell toxischen Klima aus Misstrauen, Nationalismus und politischem Machtkampf scheint das eher Wunschdenken. Sollte der Druck weiter steigen, könnte der Zwischenfall vom Grenzposten mehr als nur ein tragisches Missverständnis sein: Er könnte das Fanal für den nächsten Umsturz bedeuten.