Ohne Babys keine Zukunft! Thailand auf dem Weg in die Krise

Ohne Babys keine Zukunft! Thailand auf dem Weg in die Krise
Photo by michael schaffler on Unsplash

Bangkok im Jahr 2025: In den Hochhausschluchten der Sukhumvit Road drängen sich nach wie vor junge Menschen in klimatisierte Shopping-Malls, während sich auf den Straßen der Verkehr staut. Doch wer genauer hinsieht, bemerkt eine schleichende Veränderung.

In den Tempeln der Stadt sitzen mehr grauhaarige Gläubige als früher, in den Parks treffen sich Senioren zum morgendlichen Tai Chi, und in den Krankenhäusern wächst die Zahl älterer Patienten stetig.

Thailand durchläuft einen demografischen Wandel von historischer Dimension – schneller und radikaler als die meisten anderen Nationen. Was Jahrzehnte dauerte in Europa oder Nordamerika, vollzieht sich im Königreich binnen weniger Jahre. Eine stille Revolution, die das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Gefüge des Landes grundlegend verändert.

Von der jungen Nation zur alternden Gesellschaft

Noch in den 1960er-Jahren galt Thailand als klassisches Entwicklungsland mit hoher Geburtenrate und niedriger Lebenserwartung. Familien mit fünf oder sechs Kindern waren die Regel, die Bevölkerung wuchs rasant. Doch innerhalb von nur zwei Generationen hat sich das Bild komplett gewandelt.

Die Fertilitätsrate sank von über sechs Kindern pro Frau in den 1960er-Jahren auf heute etwa 1,1 – eine der niedrigsten weltweit und deutlich unter dem Bestandserhaltungsniveau von 2,1. Gleichzeitig stieg die Lebenserwartung dramatisch: von rund 50 Jahren in den 1960er-Jahren auf mittlerweile über 77 Jahre. Diese doppelte Bewegung – weniger Geburten bei längerer Lebenserwartung – treibt die Alterung der Gesellschaft mit beispielloser Geschwindigkeit voran.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache

Die demografischen Kennziffern zeichnen ein eindeutiges Bild. Heute sind rund 20 Prozent der thailändischen Bevölkerung 60 Jahre oder älter. Bis 2040 wird dieser Anteil auf voraussichtlich 30 Prozent steigen. Im Jahr 2050 könnte fast jeder dritte Thailänder das Rentenalter erreicht haben. Zum Vergleich: Japan benötigte für diesen Wandel mehrere Jahrzehnte, Thailand vollzieht ihn in der Hälfte der Zeit.

Besonders dramatisch ist die Entwicklung in absoluten Zahlen: Von derzeit etwa 14 Millionen Menschen über 60 Jahren wird die Zahl bis Mitte des Jahrhunderts auf über 20 Millionen anwachsen – bei gleichzeitig schrumpfender Gesamtbevölkerung, die von heute rund 70 Millionen auf etwa 60 Millionen zurückgehen könnte.

Warum Thailand so schnell altert

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und miteinander verwoben. In den 1970er-Jahren startete die thailändische Regierung eine aggressive Kampagne zur Familienplanung, die auf breite Akzeptanz stieß und die Geburtenrate innerhalb weniger Jahre drastisch senkte.

Gleichzeitig verbesserte sich die medizinische Versorgung erheblich, Infektionskrankheiten wurden zurückgedrängt, die Kindersterblichkeit sank rapide.

Der wirtschaftliche Aufstieg des Landes seit den 1980er-Jahren verstärkte den Trend: Mit wachsendem Wohlstand, besserer Bildung und zunehmender Urbanisierung sank die Bereitschaft, viele Kinder zu bekommen. Heute entscheiden sich immer mehr junge Thailänder bewusst gegen Nachwuchs – aus finanziellen Erwägungen, Karrieregründen oder dem Wunsch nach einem anderen Lebensstil.

Die urbane Kluft verschärft die Lage

Der demografische Wandel verläuft keineswegs gleichmäßig über das Land. Während Bangkok und andere urbane Zentren noch vergleichsweise jung sind und von Binnenmigration profitieren, altert die ländliche Bevölkerung überproportional schnell.

In vielen Dörfern des Nordostens oder Nordens prägen bereits heute ältere Menschen das Straßenbild. Die junge Generation zieht in die Städte, zurück bleiben die Alten – oft ohne ausreichende Versorgungsstrukturen oder familiäre Unterstützung. Diese regionale Disparität verschärft soziale Ungleichheiten und stellt die Politik vor erhebliche Verteilungsfragen.

Arbeitsmarkt unter Druck

Die Alterung der Gesellschaft hinterlässt tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter schrumpft bereits seit einigen Jahren.

Während 2010 noch rund 45 Millionen Thailänder zwischen 15 und 64 Jahren alt waren, wird diese Zahl bis 2040 auf unter 40 Millionen sinken. Parallel wächst die Gruppe der über 65-Jährigen von heute rund 8 Millionen auf voraussichtlich 16 Millionen.

Das sogenannte Abhängigkeitsverhältnis – das Verhältnis zwischen erwerbstätiger und nicht erwerbstätiger Bevölkerung – verschlechtert sich dramatisch. Immer weniger Arbeitskräfte müssen immer mehr Rentner und Pensionäre mittragen, was die sozialen Sicherungssysteme massiv belastet.

Fachkräftemangel als wirtschaftliches Risiko

Bereits heute klagen thailändische Unternehmen über Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. In einigen Branchen – etwa im Baugewerbe, in der Pflege oder im Gastgewerbe – ist der Fachkräftemangel akut.

Die Löhne steigen, die Produktivität sinkt. Für ein Land, das sich seit Jahrzehnten als kostengünstige Produktionsstätte profiliert hat, ist diese Entwicklung bedrohlich. Investoren ziehen zunehmend Alternativen in Betracht: Vietnam, Bangladesch oder Indonesien bieten jüngere, günstigere Arbeitskräfte. Thailands Wirtschaft droht in die sogenannte Middle-Income-Trap zu geraten – zu teuer für einfache Produktion, aber noch nicht innovativ genug für hochwertige Dienstleistungen.

Das Rentensystem steht vor dem Kollaps

Thailands Rentensystem ist auf die neue demografische Realität nicht vorbereitet. Lediglich ein Drittel der Erwerbstätigen ist überhaupt in ein formales Rentensystem eingebunden – vor allem Angestellte im öffentlichen Dienst und in größeren Unternehmen. Die Mehrheit der Bevölkerung arbeitet im informellen Sektor ohne Rentenansprüche.

Der Staat zahlt zwar eine Grundrente von umgerechnet etwa 20 Euro pro Monat, doch diese reicht kaum zum Überleben. Viele ältere Menschen sind auf familiäre Unterstützung angewiesen – ein Modell, das angesichts schrumpfender Familien und veränderter Wertvorstellungen zunehmend brüchig wird.

Pflegenotstand programmiert

Mit der steigenden Zahl hochbetagter Menschen wächst auch der Pflegebedarf exponentiell. Schon heute leben Schätzungen zufolge über eine Million Thailänder mit Demenz, bis 2050 könnte sich diese Zahl verdreifachen. Chronische Krankheiten wie Diabetes, Herzleiden oder Schlaganfälle nehmen zu. Doch das Land verfügt weder über ausreichende Pflegeeinrichtungen noch über genügend geschultes Personal.

Traditionell übernahmen Familienmitglieder – meist Töchter oder Schwiegertöchter – die Pflege älterer Angehöriger. Doch diese Struktur erodiert. Immer mehr Frauen sind berufstätig, Kleinfamilien ersetzen Großfamilien, und die räumliche Trennung zwischen Generationen nimmt zu.

Gesundheitssystem am Limit

Das thailändische Gesundheitssystem gilt als vergleichsweise gut ausgebaut und hat in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Fortschritte gemacht.

Die universelle Krankenversicherung, eingeführt 2002, deckt heute fast die gesamte Bevölkerung ab. Doch die Alterung der Gesellschaft stellt das System vor immense finanzielle Herausforderungen.

Ältere Menschen benötigen mehr und teurere medizinische Leistungen, chronische Erkrankungen binden erhebliche Ressourcen. Die Kosten steigen schneller als die Wirtschaft wächst, und der demografische Druck wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen.

Politik reagiert zögerlich

Die thailändische Politik hat die demografischen Herausforderungen zwar erkannt, doch konkrete, weitreichende Maßnahmen lassen auf sich warten. Zwar gibt es vereinzelte Initiativen – etwa zur Förderung der Altenpflege oder zur Stärkung der privaten Altersvorsorge –, doch ein umfassender strategischer Plan fehlt.

Die politische Instabilität der vergangenen Jahre, geprägt von Putschen, Protesten und häufigen Regierungswechseln, hat langfristige Reformvorhaben erschwert. Zudem sind demografische Veränderungen abstrakt und schleichend, sie erzeugen keinen unmittelbaren Handlungsdruck – ein klassisches Problem der politischen Ökonomie.

Immigration als mögliche Lösung?

Einige Experten sehen in verstärkter Zuwanderung einen Ausweg aus dem demografischen Dilemma. Thailand könnte gezielt junge Arbeitskräfte aus Nachbarländern wie Myanmar, Kambodscha oder Laos anwerben und ihnen langfristige Perspektiven bieten. Doch die politische Stimmung im Land ist ambivalent.

Während die Wirtschaft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist – bereits heute arbeiten mehrere Millionen Migranten in Thailand –, gibt es in Teilen der Bevölkerung Vorbehalte. Rechtliche Hürden, fehlende Integrationsprogramme und xenophobe Tendenzen erschweren eine gesteuerte Migrationspolitik.

Internationale Vergleiche zeigen Handlungsoptionen

Ein Blick nach Japan oder Deutschland zeigt, welche Wege alternde Gesellschaften beschreiten können – und welche Fehler vermeidbar sind. Japan, mit einem Anteil von über 29 Prozent über 65-Jährigen weltweit führend, setzt auf Technologie, Robotik und Automatisierung, um den Fachkräftemangel zu kompensieren. Deutschland hingegen hat seine Zuwanderungspolitik liberalisiert und investiert massiv in Pflege und soziale Infrastruktur.

Beide Länder kämpfen jedoch mit erheblichen Kosten und sozialen Verwerfungen. Für Thailand liegt darin eine Warnung: Der demografische Wandel lässt sich nicht aufhalten, aber seine negativen Folgen lassen sich durch entschlossenes Handeln abmildern.

Die Silver Economy als Chance

Der demografische Wandel birgt jedoch auch wirtschaftliche Chancen. Die wachsende Zahl kaufkräftiger Senioren eröffnet neue Märkte: Gesundheitsdienstleistungen, altersgerechtes Wohnen, Freizeitangebote, Tourismus für ältere Menschen. Thailand könnte sich als regionales Zentrum für Altenpflege und medizinischen Tourismus positionieren.

Bereits heute kommen zahlreiche wohlhabende Senioren aus Europa, Nordamerika oder Japan nach Thailand, um hier ihren Lebensabend zu verbringen oder medizinische Behandlungen in Anspruch zu nehmen. Diese sogenannte Silver Economy könnte zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor werden, sofern das Land gezielt in Infrastruktur und Qualitätsstandards investiert.

Technologie und Innovation als Schlüssel

Automatisierung, Digitalisierung und künstliche Intelligenz könnten helfen, den Mangel an Arbeitskräften zu kompensieren. Roboter in der Pflege, intelligente Assistenzsysteme für Senioren, telemedizinische Angebote – die technologischen Möglichkeiten sind vielfältig.

Doch Thailand hinkt in diesem Bereich hinterher. Die Digitalisierung ist ungleich verteilt, ländliche Regionen sind schlecht angebunden, die Bildungs- und Forschungslandschaft unzureichend. Investitionen in Bildung, Forschung und technologische Infrastruktur sind unerlässlich, um die Chancen der Zukunft zu nutzen.

Gesellschaftlicher Wertewandel erforderlich

Letztlich erfordert die Bewältigung des demografischen Wandels auch einen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel. Das traditionelle Bild vom Alter als Phase des Rückzugs und der Abhängigkeit muss überdacht werden.

Ältere Menschen können länger aktiv bleiben, produktiv arbeiten und gesellschaftlich teilhaben – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Flexible Arbeitszeitmodelle, lebenslanges Lernen, Gesundheitsprävention und eine altersfreundliche Stadtplanung sind nur einige Ansatzpunkte. Zudem muss die Gesellschaft neue Formen der Solidarität zwischen den Generationen entwickeln, jenseits traditioneller Familienstrukturen.

Ausblick: Die kommenden Jahrzehnte

Thailand steht vor der wohl größten gesellschaftlichen Transformation seiner modernen Geschichte. In den kommenden zwei Jahrzehnten wird sich entscheiden, ob das Land den demografischen Wandel als Chance nutzen oder als Krise erleben wird.

Die Weichen müssen jetzt gestellt werden – durch politische Reformen, wirtschaftliche Innovationen und gesellschaftliche Anpassungen. Die stille Revolution ist in vollem Gange, und ihre Folgen werden das Land des Lächelns nachhaltig prägen.

Ob Thailand gestärkt oder geschwächt aus diesem Prozess hervorgeht, hängt von Entscheidungen ab, die heute getroffen werden müssen.

Anmerkung der Redaktion:

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3 Kommentare zu „Ohne Babys keine Zukunft! Thailand auf dem Weg in die Krise

  1. „Die Zahlen sprechen eine klare Sprache“ und dies nicht erst seit gestern. Seit Jahrzehnten ist der Politik das Problem der Demographie und des Bildungsnotstandes bekannt – und was blieb außer vollmundigen Lippenbekenntnissen und großartigen Versprechungen?
    „Mit wachsendem Wohlstand, besserer Bildung“, welche aber unlogischerweise nicht zu besser ausgebildeten Fachkräften führte sondern ganz im Gegenteil, auf einem frappanten Fachkräftemangel hinausläuft, versucht man auch hier das eigentliche Problem zu kaschieren. Die Resultate zeigen ganz klar, dass vielerlei gutgemeinte politische Vorstöße im Sande oder Korruptionssumpf verschwanden.
    Hartherzig, aber wahr könnte man festhalten, dass
    „Fachkräftemangel als wirtschaftliches Risiko
    Technologie und Innovation als Schlüssel
    Das Rentensystem steht vor dem Kollaps Gesundheitssystem am Limit“ , als selbstgebastelte Hausnummer seit Jahrzehnten durch planerische Untätigkeiten selbst mitverursacht wurde. „Politik reagiert zögerlich“ – könnte man liebevoll auch als krasses Zuschauen /Untätigkeit der Verantwortungsträger bezeichnen. Positiv hat das Zögern nicht wirklich etwas verändert.

    1. Ok, das stimmt. Aber haben sich andere Länder besser geschlagen ? Ich muß nur die Diskussionen in DACH verfolgen um festzustellen das auch die erste Welt das Thema verschlafen hat oder weitgehend ignoriert. Und wenn ich mir so ansehe was wir, ich bin noch aktiv, in Deutschland so an „Fachkräften“ bekommen, wird mir durchaus unwohl. Das große Thema ist nämlich gar nicht das Rentensystem alleine. Das Thema ist, wie es möglich sein konnte das wir die Architektur für alle wirtschaftlichen Belange auf Wachstum ausgerichtet haben. Und natürlich betrifft das auch unsere Rentensysteme, egal ob in Thailand oder DACH. Ich bin Mathematiker(in). Alle unsere Systeme beruhen im Grunde auf exponentiellem Wachstum. Exponentielles Wachstum funktioniert aber nur in der Phase in der die Steigung der Kurve relativ flach verläuft. In dieser Trap stecken alle unsere wirtschaftlichen Systeme. Eine Lösung ? Ich weiß keine. Irgendwann wird alles wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Dann werden die Karten neu gemischt.

  2. Hier in Thailand ist es warscheinlich wie in Deutschland. Das Menschen nach 45 Jahren arbeit in Rente gehen, das kommt so plötzlich, das konnte doch keiner im vorraus ahnen. Es wie Weihnachten, kommt auch im so unerwartet und plötzlich. Aber Schult haben dann die Alten. Warum gehen die auch nach ein langes Arbeitsleben in Rente und warum leben denn die so lange?

Kommentare sind geschlossen.