Reportage: Gefangen im Betrugssystem von Kambodscha

Reportage: Gefangen im Betrugssystem von Kambodscha
Facebook / ข่าวท้องถิ่นเพชรบูรณ์

In der Falle des Betrugs: Der Tod von Nong Ta in einem kambodschanischen Call-Center-Lager

Ein junger Thai im Netz organisierter Kriminalität

Ein 19-jähriger junger Mann aus der thailändischen Provinz Phetchabun, bekannt nur unter dem Namen „Nong Ta“ („น้องต้า“), suchte nach einer besseren Zukunft. Stattdessen fand er seinen Tod in einem abgelegenen Gebäude in Kambodscha – gefangen in einem brutalen System aus Zwangsarbeit, systematischer Gewalt und kriminellem Betrug. Sein Fall ist keine Einzelerscheinung, sondern steht exemplarisch für ein erschreckendes Phänomen, das Tausende von Menschen aus Thailand und anderen südostasiatischen Ländern betrifft. In den vergangenen Jahren haben sich in Kambodscha großflächige Strukturen etabliert, die Menschen unter falschen Versprechungen anwerben, sie ihrer Freiheit berauben und sie zwingen, internationale Betrugsoperationen durchzuführen. Der Fall von Nong Ta offenbart die tödliche Realität hinter diesen sogenannten „Scam Compounds“ – und wirft dringende Fragen nach Verantwortung, Prävention und grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf.

Die systematische Ausbeutung: Kambodscha als Zentrum des Betrugs

In den letzten Jahren hat sich Kambodscha zu einem regionalen Knotenpunkt für organisierte Betrugsnetzwerke entwickelt. Amnesty International dokumentierte in einem umfassenden Bericht mindestens 53 Lagerhäuser im Land, die direkte Verbindungen zu Menschenhandel, Zwangsarbeit und systematischer Folter aufweisen. Diese Einrichtungen, oft als „Scam Compounds“ bezeichnet, sind keine improvisierten Operationen, sondern hochorganisierte kriminelle Strukturen mit erheblichen finanziellen Ressourcen.

Die Business & Human Rights Resource Centre bestätigt diese Befunde und weist auf ein grenzüberschreitendes Netzwerk hin, das weit über Kambodscha hinausreicht. Die Opfer stammen nicht nur aus Thailand, sondern auch aus Vietnam, Laos, Myanmar und anderen Ländern der Region. Die Mechanismen sind dabei erschreckend ähnlich: Über soziale Medien werden attraktive Arbeitsangebote verbreitet – gut bezahlte Stellen in der Kundenbetreuung, im Marketing oder in der IT-Branche. Die Realität könnte nicht weiter von diesen Versprechungen entfernt sein.

Reportage: Gefangen im Betrugssystem von Kambodscha
Facebook / ข่าวท้องถิ่นเพชรบูรณ์

Die Rekrutierungsfalle: Wie Opfer angelockt werden

Die Täter nutzen gezielt die wirtschaftlichen Unsicherheiten und Zukunftsängste junger Menschen. Auf Facebook, TikTok und anderen Plattformen erscheinen professionell gestaltete Stellenanzeigen mit verlockenden Gehältern, die oft das Dreifache dessen versprechen, was in Thailand oder anderen Herkunftsländern verdient werden kann. Die Anwerber präsentieren sich seriös, zeigen Fotos moderner Bürogebäude und sprechen von internationalen Karrierechancen.

Junge Menschen wie Nong Ta, oft aus ländlichen Gebieten mit begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten, sehen darin eine Chance auf ein besseres Leben. Die Täter organisieren die gesamte Reise, übernehmen angeblich die Kosten und präsentieren sich als fürsorgliche Arbeitgeber. Erst nach der Ankunft in Kambodscha, oft in abgelegenen Grenzregionen, offenbart sich die Falle. Die Reisedokumente werden sofort konfisziert, Mobiltelefone werden abgenommen oder kontrolliert, und die versprochene „Arbeit“ entpuppt sich als etwas völlig anderes.

Reportage: Gefangen im Betrugssystem von Kambodscha
Facebook / ข่าวท้องถิ่นเพชรบูรณ์

Der Ort des Schreckens: Ang Kong Buri in Svay Rieng

Nong Ta wurde in ein Call-Center-Gebäude in der Region Ang Kong Buri in der Provinz Svay Rieng gebracht – einer abgelegenen Gegend im Süden Kambodschas nahe der vietnamesischen Grenze. Laut Aussagen von „คุณเบิร์ด“ (Khun Bird), einem freiwilligen Helfer vom IMF-Zentrum in Thailand, der den Fall unter der Nummer „139″ führte, handelt es sich um einen Komplex aus mehreren Gebäuden, die von der Außenwelt abgeschottet sind.

Google-Street-View-Bilder und Kartenmaterial, die Khun Bird analysierte, zeigen eine Anlage, die einem Arbeitslager gleicht: hohe Mauern, Stacheldraht, keine umliegenden Wohnsiedlungen. Die Isolation ist bewusst gewählt – sie erschwert Fluchtversuche und verhindert, dass Außenstehende auf die Vorgänge im Inneren aufmerksam werden. Khun Bird identifizierte diese Einrichtung als eines von zunächst 13, mittlerweile über 30 „gefährlichen Gebäuden“ in Kambodscha, in denen Menschen gefangen gehalten und systematisch misshandelt werden.

Reportage: Gefangen im Betrugssystem von Kambodscha
Facebook / ข่าวท้องถิ่นเพชรบูรณ์

Die Hölle der Zwangsarbeit: Nong Ta’s letzte Wochen

Was Nong Ta in diesem Gebäude widerfuhr, ist durch Aussagen von drei bis vier Überlebenden dokumentiert, denen die Flucht gelang. Ihre Schilderungen zeichnen ein Bild systematischer Brutalität: Der junge Mann wurde gezwungen, an betrügerischen Call-Center-Operationen teilzunehmen – das bedeutet, täglich Menschen in anderen Ländern anzurufen und sie mit falschen Versprechungen oder Drohungen um ihr Geld zu bringen.

Wenn Nong Ta seine „Quoten“ nicht erfüllte – also nicht genügend Menschen erfolgreich betrog – wurde er aus seinem Raum gezerrt und körperlich misshandelt. Die Zeugen berichten von elektrischen Schocks, die wiederholt als Bestrafungsmethode eingesetzt wurden. Er wurde ausgepeitscht und geschlagen. Um ihn wachzuhalten und die Arbeitsleistung zu steigern, wurde er gezwungen, Drogen intravenös zu nehmen. Sein Schlaf wurde auf nur drei Stunden pro Tag reduziert – eine Form der Folter durch Schlafentzug, die bekanntermaßen schwere psychische und physische Schäden verursacht.

Reportage: Gefangen im Betrugssystem von Kambodscha
Facebook / ข่าวท้องถิ่นเพชรบูรณ์

Der tödliche Ausgang: Krankheit ohne Behandlung

Unter diesen extremen Bedingungen entwickelte Nong Ta Tuberkulose, eine durch Bakterien verursachte Infektionskrankheit, die besonders in überfüllten, unhygienischen Umgebungen mit geschwächten Menschen grassiert. Zusätzlich bildete sich ein Lungenödem – eine lebensgefährliche Ansammlung von Flüssigkeit in der Lunge. Beide Erkrankungen hätten bei rechtzeitiger medizinischer Behandlung therapiert werden können.

Doch medizinische Versorgung wurde Nong Ta verweigert. Die Betreiber des Lagers sahen in den Gefangenen lediglich Werkzeuge zur Profitmaximierung – sobald diese nicht mehr „produktiv“ waren, verloren sie jeden Wert. Der 19-Jährige verstarb schließlich im Gebäude selbst. Sein Leichnam konnte bis heute nicht nach Thailand überführt werden, was seiner Familie nicht einmal die Möglichkeit gibt, in Würde Abschied zu nehmen.

Die Täter: Chinesische Netzwerke und lokale Komplizenschaft

Hinter dem Gebäude, in dem Nong Ta starb, steht nach Angaben von Khun Bird ein Chinese namens „จิงเกอ“ (Jing Ke). Dieser Name erscheint auf Mitarbeiterausweisen, die von chinesischen Unternehmen in der Region ausgestellt wurden. Jing Ke wird beschrieben als einer von vielen Investoren und Betreibern, die zu einem Netzwerk gehören, das Khun Bird als „chinesische Grauzone-Kapitalisten“ bezeichnet – kriminelle Akteure mit erheblichen finanziellen Mitteln, die in Kambodscha operieren.

Die Beteiligung chinesischer oder chinesisch-stämmiger Krimineller an diesen Strukturen ist vielfach dokumentiert. Im August 2022 verhängte das US-amerikanische Office of Foreign Assets Control (OFAC) Sanktionen gegen den kambodschanischen Senator und Geschäftsmann Ly Yong Phat sowie gegen mehrere seiner Unternehmen. Der Vorwurf: Zwangsarbeit in Scam-Lagern und Komplizenschaft mit transnationalen kriminellen Organisationen. Die USA werfen Ly Yong Phat vor, Gebäude und Infrastruktur bereitzustellen, in denen Menschen unter Bedingungen moderner Sklaverei gehalten werden.

Diese Fälle zeigen, dass die Betreiber nicht im luftleeren Raum agieren, sondern auf lokale Komplizenschaft angewiesen sind – Grundstücke müssen gepachtet oder gekauft, Genehmigungen erteilt, Polizei und Behörden bestochen oder zum Wegschauen bewegt werden.

Die Dimension des Problems: Tausende Thailänder in Gefangenschaft

Der Fall Nong Ta ist tragisch, aber bei weitem nicht einzigartig. Khun Bird schätzt, dass aktuell zwischen 3.000 und 4.000 thailändische Staatsbürger in ähnlichen Lagern in Kambodscha festgehalten werden. Viele von ihnen wurden wie Nong Ta mit falschen Jobversprechen angelockt, andere wurden entführt oder von Menschenhändlern verkauft.

Das Problem bei der Rettung dieser Menschen ist vielschichtig: Viele Opfer haben keine Möglichkeit, nach außen zu kommunizieren. Selbst wenn es ihnen gelingt, Hilfe zu rufen, fehlen oft grundlegende Informationen. Wie Khun Bird erklärt: „Ohne den echten Namen, die Personalausweisnummer oder ein Foto können wir keine Hilfe von Interpol oder internationalen Strafverfolgungsbehörden anfordern.“ Die Opfer befinden sich in einem rechtlichen und administrativen Schwebezustand.

Dennoch gibt es auch Erfolgsgeschichten: Im November 2022 berichtete die South China Morning Post von einer Razzia, bei der 119 thailändische Staatsangehörige aus einem illegalen Call-Center-Komplex befreit und nach Thailand zurückgebracht werden konnten. Solche Operationen erfordern jedoch umfangreiche Planung, diplomatische Abstimmung zwischen Thailand und Kambodscha sowie präzise Geheimdienstinformationen.

Die internationale Antwort: Berichte, Sanktionen und diplomatische Initiativen

Die internationale Gemeinschaft hat auf diese Krise reagiert, wenn auch vielfach als zu langsam und unzureichend kritisiert. Der bereits erwähnte Bericht von Amnesty International löste in Thailand offizielle Stellungnahmen aus. Die thailändische Regierung zeigte sich alarmiert und versprach verstärkte Zusammenarbeit mit kambodschanischen Behörden.

Die ASEAN-Australia Counter Trafficking Initiative veröffentlichte einen detaillierten Bericht, der die Charakteristika dieser Lager systematisiert: Entzug von Ausweisdokumenten, erzwungene Arbeit unter Androhung von Gewalt, unmenschliche Lebensbedingungen, unrealistische Arbeitsquoten und systematische physische sowie psychologische Misshandlung. Der Bericht betont auch die transnationale Dimension – die Opfer stammen aus einem Land, werden in ein anderes verschleppt und gezwungen, Menschen in wieder anderen Ländern zu betrügen.

Diese grenzüberschreitende Natur macht strafrechtliche Verfolgung komplex. Zuständigkeiten sind unklar, Beweise schwer zu sammeln, und die Täter nutzen bewusst rechtsfreie Räume und Korruption aus. Die US-Sanktionen gegen Ly Yong Phat waren ein wichtiges Signal, dass die internationale Gemeinschaft nicht tatenlos zusehen will – doch Sanktionen allein beenden nicht die Operation der Lager.

Das menschliche Leid: Nong Ta seine Großmutter und die Angehörigen

Hinter jedem Fall wie dem von Nong Ta steht eine Familie, die mit Ungewissheit, Trauer und Hilflosigkeit ringt. Der 19-Jährige lebte bei seiner Großmutter, die selbst bettlägerig und krank ist. Sie war die wichtigste Bezugsperson in seinem Leben. Als Khun Bird versuchte, die Eltern zu kontaktieren, nahmen diese zwar ab, legten dann aber auf und brachen den Kontakt ab – eine Reaktion, die auf Scham, Überforderung oder Angst hindeuten könnte.

Das IMF-Zentrum hat die Großmutter noch nicht über den Tod ihres Enkels informiert, aus Sorge, der Schock könnte ihren fragilen Gesundheitszustand weiter verschlechtern. Diese Situation verdeutlicht die Hilflosigkeit, in der viele Angehörige sich befinden: Sie haben keine Informationen, keine Handlungsmöglichkeiten, keine Unterstützung. Die Leiche von Nong Ta befindet sich noch immer in Kambodscha – die bürokratischen, finanziellen und diplomatischen Hürden für eine Überführung sind immens.

Die psychologischen Folgen für Angehörige sind verheerend: Schuldgefühle (Warum habe ich ihn nicht gewarnt?), Ohnmacht (Warum kann niemand helfen?), unverarbeitete Trauer (Kein Abschied, keine Beerdigung). Viele Familien sind zudem wirtschaftlich von den verschwundenen Angehörigen abhängig gewesen – der Verlust bedeutet nicht nur emotionales, sondern auch materielles Leid.

Die Opfer-Täter-Spirale: Erzwungene Komplizenschaft

Ein besonders perfider Aspekt dieser Betrugsringe ist die Tatsache, dass Opfer zu Tätern gemacht werden. Menschen wie Nong Ta wurden nicht nur ausgebeutet und misshandelt – sie wurden auch gezwungen, selbst andere Menschen zu betrügen. Dies schafft eine moralische und psychologische Belastung, die weit über die physische Gewalt hinausgeht.

Die Gefangenen müssen täglich Skripte abarbeiten, in denen sie sich als Bankberater, Polizeibeamte oder Investmentexperten ausgeben. Sie sollen Menschen in Europa, Nordamerika oder anderen asiatischen Ländern dazu bringen, Geld zu überweisen – oft die Ersparnisse eines ganzen Lebens. Wer sich weigert oder versagt, wird bestraft. Wer erfolgreich ist, bekommt vielleicht etwas weniger Gewalt ab, wird aber tiefer in die kriminelle Struktur verstrickt.

Diese erzwungene Komplizenschaft hat rechtliche Implikationen: Sind die Opfer, die unter Zwang andere betrogen haben, selbst Straftäter? Können sie strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie gerettet werden? Diese Fragen sind ungeklärt und schaffen eine zusätzliche Hürde für Opfer, sich zu melden oder Hilfe zu suchen.

Grenzüberschreitende Herausforderungen: Thailand und Kambodscha

Die geografische Nähe zwischen Thailand und Kambodscha macht das Land zu einem bevorzugten Ziel für Menschenhändler, die thailändische Opfer rekrutieren. Die Grenze ist lang, teils porös, und historische wirtschaftliche Ungleichgewichte machen Kambodscha zu einem attraktiven Standort für kriminelle Operationen.

Aus Sicht der Täter bietet Kambodscha mehrere Vorteile: niedrigere Grundstückspreise, weniger strikte Durchsetzung von Arbeits- und Menschenrechtsgesetzen, Korruptionsmöglichkeiten und eine Regierung, die lange Zeit entwicklungspolitisch auf chinesische Investitionen angewiesen war und daher zögerte, gegen chinesische Geschäftsleute vorzugehen.

Für Thailand entstehen dadurch erhebliche Herausforderungen: Wie schützt man die eigenen Bürger vor Rekrutierung? Wie arbeitet man mit kambodschanischen Behörden zusammen, wenn Korruption und politische Sensibilitäten die Kooperation erschweren? Wie bringt man Opfer zurück und reintegriert sie in die Gesellschaft?

Einige Fortschritte wurden erzielt: bilaterale Abkommen zur Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung, gemeinsame Task Forces, Informationskampagnen. Doch die schiere Größe des Problems übersteigt oft die verfügbaren Ressourcen.

Was kann getan werden? Prävention und Warnzeichen

Angesichts der Tatsache, dass Tausende bereits in diesen Lagern gefangen sind und täglich neue Opfer rekrutiert werden, ist Prävention von entscheidender Bedeutung. Junge Menschen, besonders aus ländlichen Gebieten mit begrenztem Zugang zu Bildung und Information, müssen über die Gefahren aufgeklärt werden.

Warnzeichen für betrügerische Jobangebote:

  • Unrealistisch hohe Gehälter für einfache Tätigkeiten
  • Arbeitsangebote über soziale Medien von unbekannten Kontakten
  • Drängen auf schnelle Entscheidungen ohne ordentliche Verträge
  • Übernahme aller Reisekosten und -organisation durch den „Arbeitgeber“
  • Arbeitsort in abgelegenen Grenzregionen
  • Forderung nach Abgabe von Ausweisdokumenten vor Arbeitsbeginn
  • Vage Beschreibungen der Arbeitstätigkeit

Präventionsmaßnahmen sollten mehrere Ebenen umfassen: Aufklärungskampagnen in Schulen und über soziale Medien, strengere Kontrollen an Grenzübergängen, Zusammenarbeit mit Social-Media-Plattformen zur Identifikation und Löschung betrügerischer Anzeigen, und wirtschaftliche Entwicklung in ländlichen Gebieten, um die Attraktivität riskanter Jobangebote zu verringern.

Die Rolle von NGOs und Freiwilligen wie Khun Bird

Während staatliche Stellen oft langsam und bürokratisch agieren, sind es häufig NGOs und freiwillige Helfer, die den Unterschied machen. Khun Bird vom IMF-Zentrum ist ein Beispiel für solches Engagement: Er koordiniert Rettungsaktionen, sammelt Informationen über Opfer, kommuniziert mit Familien und versucht, Druck auf Behörden auszuüben.

Diese Arbeit ist gefährlich – Freiwillige setzen sich der Gefahr durch organisierte kriminelle Netzwerke aus. Sie ist auch emotional belastend, wie der Fall Nong Ta zeigt: trotz aller Bemühungen kam die Hilfe zu spät. Dennoch sind solche Initiativen unverzichtbar. Sie füllen Lücken, die staatliche Strukturen hinterlassen, geben Opfern und Angehörigen Hoffnung und dokumentieren die Verbrechen.

Internationale Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch oder die International Labour Organization spielen eine wichtige Rolle bei der Dokumentation, beim Advocacy und beim Druck auf Regierungen. Ihre Berichte schaffen öffentliche Aufmerksamkeit und können politische Entscheidungsträger zum Handeln bewegen.

Offene Fragen und die Notwendigkeit internationaler Antworten

Der Fall Nong Ta wirft zahlreiche Fragen auf, die bislang unbeantwortet bleiben: Wird Jing Ke oder werden andere Verantwortliche jemals zur Rechenschaft gezogen? Wird der Leichnam des jungen Mannes nach Thailand zurückgebracht, damit seine Großmutter Abschied nehmen kann? Wie viele weitere Nong Tas sterben in diesen Lagern, ohne dass die Welt davon erfährt?

Die Antwort auf diese Krise erfordert koordinierte internationale Anstrengungen. ASEAN als regionale Organisation muss eine führende Rolle übernehmen und Standards für den Schutz von Wanderarbeitern etablieren. Länder wie China müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und gegen kriminelle Netzwerke mit chinesischer Beteiligung vorgehen. Die kambodschanische Regierung muss Korruption bekämpfen und Rechtsstaatlichkeit stärken.

Gleichzeitig braucht es Mechanismen zur Unterstützung von Überlebenden: psychologische Betreuung, rechtliche Beratung, Schutz vor Strafverfolgung wegen erzwungener Delikte, Reintegrationsprogramme. Opfer sind keine Täter – sie sind Menschen, deren Menschenrechte auf fundamentalste Weise verletzt wurden.

Ein Mahnmal für strukturelle Gewalt

Nong Ta war 19 Jahre alt, als er starb. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Stattdessen endete es in einem fensterlosen Raum in einem fremden Land, umgeben von Menschen, die ihn als Werkzeug betrachteten und entsorgten, als er nicht mehr funktionierte. Sein Tod ist kein Unfall und keine Tragödie im klassischen Sinne – er ist das vorhersehbare Ergebnis eines Systems, das auf der Ausbeutung verletzlicher Menschen aufbaut.

Die Geschichte von Nong Ta muss erzählt werden – nicht, um Mitleid zu erregen, sondern um Bewusstsein zu schaffen und Veränderung zu fordern. Jeder Tag, an dem diese Lager weiter operieren, jeder Tag ohne entschiedenes Handeln, ist ein Tag, an dem weitere junge Menschen wie Nong Ta ihr Leben verlieren oder irreparablen Schaden nehmen.

Die internationale Gemeinschaft, regionale Organisationen, nationale Regierungen, NGOs und jeder Einzelne tragen Verantwortung. Es ist Zeit, aus dem Schatten der Gleichgültigkeit zu treten und diesen modernen Formen der Sklaverei ein Ende zu setzen. Nong Tas Tod darf nicht umsonst gewesen sein.

Newsletter abonnieren

Newsletter auswählen:
Abonnieren Sie den täglichen Newsletter des Wochenblitz und erhalten Sie jeden Tag aktuelle Nachrichten und exklusive Inhalte direkt in Ihr Postfach.

Wir schützen Ihre Daten gemäß DSGVO. Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

2 Kommentare zu „Reportage: Gefangen im Betrugssystem von Kambodscha

  1. Dass junge Menschen in diesen Ländern wie hier Thailand sich solchen Gefahren aussetzen, aussetzen müssen, weil sie zuwenig oder keinen Zugang zu ausreichender Bildung, existenzsichernden Jobs im eigenen Land haben, führt uns zu einem maroden, veralteten, rückständigen, reformbedürftigen Bildungssystem und den prähistorischen drei Säulen in Thailand, Militär, M*******, Religion, welche nie hinterfragt, kritisiert werden darf, damit deren Leader sich frei bereichern und Macht zuschantzen können, den miserablen Lohn- und Arbeitsbedingungen und somit weiter zu einer dafür verantwortlichen Wirtschafts- und Politelite, welche höchst korrupt ist, nur interessiert, sich die Taschen zu füllen, ihre Macht und Privilegien auszubauen und zu schützen. Die Bevölkerung, v.a. die „unteren Schichten“ sind denen völlig egal und dienen nur dem Zweck sie ebenfalls auszubeuten und sich weiter zu bereichern. Bildung könnte ja dazu führen, dass das Volk den Machtmissbrauch erkennt und zur Gefahr für die etablierte Elite werden könnte. Es dient der Elite wie es ist und deshalb dieser bürokratis­ch­e Widerstand, das unkooperative Verhalten, welcher(s) die Elite aufrecht zu erhalten interessiert ist. Es hat System.

Kommentare sind geschlossen.