Minen, Misstrauen, Machtspiele

Minen, Misstrauen, Machtspiele
HANDOUT/ROYAL THAI ARMY

BANGKOK, THAILAND Nach der schweren Verwundung eines thailändischen Soldaten durch eine Landmine an der Grenze zu Kambodscha droht die fragile Friedensvereinbarung zwischen beiden Ländern zu zerbrechen. Die thailändische Regierung hat sämtliche bilateralen Abkommen vorerst ausgesetzt und prüft sogar militärische Schritte.

Explosion im Grenzgebiet von Sisaket

Am Morgen des 10. November war ein thailändischer Soldat im Gebiet Huai Ta Maria im Bezirk Kantharalak (Provinz Sisaket) auf eine Landmine getreten – bereits der siebte Fall dieser Art in diesem Jahr. Laut Generalmajor Winthai Suvaree, Sprecher des thailändischen Heeres, handelte es sich um neu verlegte Minen innerhalb thailändischen Territoriums. Phnom Penh hingegen bestritt jegliche Verantwortung und sprach von Altlasten aus den Bürgerkriegen der 1970er und 1980er Jahre.

Das thailändische Heer reagierte mit einer scharfen Gegenerklärung und beharrte darauf, dass die entdeckten Sprengsätze neu produziert und gelegt worden seien.

Regierung verschärfte Haltung noch am selben Tag

Wenige Stunden nach dem Vorfall stoppte Verteidigungsminister General Natthaphon Nakpanich die geplante Rückführung von 18 kambodschanischen Soldaten, die zuvor festgenommen worden waren. Premierminister Anutin Charnvirakul, zugleich Innenminister, ordnete daraufhin den Abbruch sämtlicher Kooperationen mit Kambodscha an.

Sowohl das Außenministerium als auch die Luftwaffe legten offizielle Protestnoten vor und setzten gemeinsame Projekte aus. Am 11. November beschloss der Nationale Sicherheitsrat (NSC) schließlich, alle vier Punkte der Gemeinsamen Erklärung von Kuala Lumpur zu suspendieren – eine Vereinbarung, die erst am 26. Oktober unterzeichnet worden war.

„Das Ziel ist, die nationale Souveränität zu schützen und die Verteidigungsfähigkeit zu sichern“, erklärte General Natthaphon nach der Sitzung.

Wachsende Zustimmung für härtere Maßnahmen

In den sozialen Medien mehrten sich Stimmen, die ein entschiedeneres Vorgehen forderten. Dulyapak Preecharush, Politikwissenschaftler an der Thammasat-Universität, sprach im Sender PPTV von einem Wendepunkt: „Die bisherigen diplomatischen Proteste reichen nicht mehr aus, um die nationalen Interessen zu wahren.“

Auch der ehemalige Generalstabschef Generalmanas Chande, kritisierte öffentlich, die Armee hätte „bereits in der ersten Stunde mit militärischer Kraft reagieren müssen“.

Juristische Analyse – Selbstverteidigungsrecht im Fokus

Völkerrechtler Professor Thitinan Pongsudhirak (Chulalongkorn-Universität) und Associate Professor Thanaphat Chatinakrob (Thammasat-Universität) betonten die Bedeutung einer eindeutigen Beweislage. Sollte nachgewiesen werden, dass Minen nach der Unterzeichnung der Friedenserklärung gelegt wurden, so handele es sich um einen klaren Bruch des internationalen Rechts.

Thanaphat erläuterte, dass Thailand gemäß Artikel 51 der UN-Charta ein Recht auf Selbstverteidigung habe, jedoch unter den Prinzipien von „Notwendigkeit“ und „Verhältnismäßigkeit“ handeln müsse. Er warnte zugleich: „Jede Operation muss auf das betreffende Gebiet beschränkt sein und darf Zivilisten auf keinen Fall gefährden.“

Diplomatische Schritte und internationale Reaktionen

Außenminister Sihasak Phuangketkeow protestierte umgehend formell bei der kambodschanischen Regierung. Die Mitunterzeichner Malaysia und USA erhielten offizielle Mitteilungen über den mutmaßlichen Vertragsbruch.

Der thailändische Außenamtssprecher Nikorndet Phlangkur erklärte, dass Thailand den Vorgang auch im Rahmen der Ottawa-Konvention über das Verbot von Antipersonenminen anzeige.

Thanaphat bezeichnete diese Reaktion als „angemessenen ersten Schritt“ und empfahl ergänzend wirtschaftlichen Druck statt sofortiger militärischer Maßnahmen. „Kambodscha steckt ohnehin in wirtschaftlichen Schwierigkeiten – gezielte ökonomische Maßnahmen könnten dort großen Einfluss entfalten.“

Laut dem Juristen sollte Thailand multilaterale Themen aufgreifen – etwa den Kampf gegen Telefonbetrugsnetzwerke mit Bezug zu Kambodscha – um so den internationalen Druck zu erhöhen.

Vorsicht vor Eskalation

Außenpolitik-Experte Thitinan Pongsudhirak warnte seinerseits, ein voreiliger Bruch der Friedenserklärung beraube beide Länder der Gesprächskanäle: „Militärische Schritte dürfen immer nur letzter Ausweg sein. Wenn Thailand überreagiert, riskiert es, seine internationale Glaubwürdigkeit zu verlieren.“

Die Erklärung von Kuala Lumpur, an der auch Donald Trump (als US-Präsident) und Anwar Ibrahim (malaysischer Premier und ASEAN-Vorsitzender) beteiligt gewesen waren, habe symbolischen und diplomatischen Wert weit über die Region hinaus. Ein Scheitern würde internationale Vermittlungsbemühungen beeinträchtigen.

ASEAN und Malaysia bieten Vermittlung an

Die Nachrichtenagentur Bernama meldete, dass die malaysische Regierung das Friedensverfahren zwischen Thailand und Kambodscha weiter unterstützen werde. General Mohamad Nizam Jaffar, Oberbefehlshaber der malaysischen Streitkräfte, betonte die gemeinsame Verantwortung aller ASEAN-Staaten.

Das ASEAN-Observer-Team (AOT) sei bislang nicht in das 40 Kilometer von der Grenze entfernte Gebiet vorgelassen worden, könne aber bei einer Eskalation rasch reaktiviert werden. Premier Anwar Ibrahim bekräftigte, Malaysia übernehme eine neutrale Beobachterrolle ohne eigene Bedingungen.

Kambodschas Sichtweise

Von Phnom Penh aus erklärte Rotha Him, stellvertretender Direktor des Cambodian Center for Regional Studies, die Regierung Kambodschas weise sämtliche Anschuldigungen zurück. Die Minen seien Relikte der Vergangenheit und lägen in umstrittenen Grenzzonen, die bisher noch nicht kartiert seien.

Er beschrieb, dass große Teile der kambodschanischen Bevölkerung die Lage über staatliche Informationskanäle wahrnehmen. „Viele glauben, die Ursache liege bei Thailand – man spreche dort von historisch motivierten Gebietsansprüchen.“

Him ergänzte jedoch: „Die Menschen entlang der Grenze wünschen sich vor allem Frieden und eine Wiederöffnung der Übergänge, um wirtschaftliche Not zu lindern.“

Ungewisse Zukunft

Offiziell sprach das thailändische Außenministerium von einer „vorübergehenden Suspendierung“ des Friedensabkommens – bis die Ursachen des Minenvorfalls abschließend geklärt seien. Doch die Worte von Premier Anutin ließen wenig Zweifel: „Was wir vereinbart haben, um auf Frieden hinzuarbeiten, ist jetzt vorbei.“

Beobachter warnen, dass eine völlige Aufkündigung der Vereinbarung das Risiko militärischer Auseinandersetzungen an der empfindlichen Grenze erhöhen könnte. Der diplomatische Weg scheint vorerst blockiert – und die Region blickt gespannt auf den nächsten Schritt Bangkoks.

Und wie geht es weiter?

Die Zukunft der thailändisch-kambodschanischen Beziehungen ist nach dem Zwischenfall vom 10. November unklar. Zwischen nationaler Sicherheit, internationalem Druck und dem Wunsch nach Stabilität steht Thailand vor einer Gratwanderung, deren Ausgang noch offen ist.

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Quelle: BBC THAI

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