Wenn Geschichtsunterricht zur Kriegspropaganda wird
Der renommierte Journalist Pravit Rojanaphruk von Khaosod English analysiert, warum thailändische Zivilgesellschaft zum Kambodscha-Konflikt schweigt – und deckt dabei die tiefen Wurzeln nationalistischer Schulindoktrination auf.
Unbequeme Fragen eines Aktivisten
Der prominente Sozialaktivist Chainarong Setthachua sorgte gestern mit einem Facebook-Post für Aufsehen, in dem er fragte: „Warum schweigt die thailändische Zivilgesellschaft, warum schweigen NGOs und Sozialaktivisten zum Grenzkrieg? Oder stimmen sie dem Krieg etwa zu?“
Der kritische Journalist und Kommentator Pravit Rojanaphruk antwortete darauf mit einer scharfen Analyse: „Der extreme Nationalismus, der seit der Kindheit in den Schulen eingeimpft wird – dass du dich davon befreien konntest, macht dich zu einer Ausnahme. Du solltest dich fragen, wie du aus dieser engstirnigen und nationalistischen Denkweise herausgefunden hast.“
Geschichtsunterricht als Propaganda-Instrument
In seinem ausführlichen Kommentar deckt Rojanaphruk ein systematisches Problem im thailändischen Bildungssystem auf. Thailändische Schüler lernen eine einseitige Version der Nationalgeschichte, in der Thailand stets der Protagonist ist: Myanmar wird als Aggressor dargestellt, verschiedene malaiische und laotische Stadtstaaten galten als rebellisch und mussten unterdrückt werden – einschließlich der Zerstörung Vientianes.
Die Dämonisierung der Khmer
Besonders perfide ist die systematische Charakterisierung der Khmer (Kambodschaner) als „hinterhältig und unzuverlässig“. Diese Stereotype werden über Generationen weitergegeben und prägen bis heute die Wahrnehmung des Nachbarlandes.
Siam als vergessene Imperialmacht
Nach dieser Geschichtsversion waren es die westlichen Großmächte Großbritannien und Frankreich, die Territorien unter siamesischer Kontrolle abtrennten – Gebiete, die heute Laos, die nördlichen Bundesstaaten Malaysias, den südlichen Teil Myanmars und Kambodscha bilden. „Kurz gesagt“, so Rojanaphruk, „Siam war einst eine regionale Imperialmacht, die sich wie ein Platzhirsch in der Nachbarschaft aufführte, bis sie von Großbritannien und Frankreich unter Druck gesetzt wurde.“
Historische Traumata prägen aktuelle Politik
Der Journalist erklärt, warum die Mehrheit der Thailänder heute noch immer glaubt, der Protagonist und die rechtschaffene Partei zu sein. Die Khmer gelten weiterhin als „hinterhältig und unzuverlässig“ – genau wie zur Zeit des Khmer-Herrschers Phraya Lawek vor über vier Jahrhunderten.
Widerstand gegen internationale Einmischung
Besonders scharf kritisiert Rojanaphruk die aktuelle Haltung gegenüber internationalen Vermittlungsversuchen: Thailändische Ultranationalisten empfinden, dass US-Präsident Donald Trump sich nicht einmischen sollte. Auch Malaysias Premierminister und derzeitiger ASEAN-Vorsitzender Anwar Ibrahim wird scharf kritisiert, nachdem er am 13. Dezember 2025 einen Waffenstillstand auf Facebook ankündigte.
„Krieg um Stimmen“ als politische Strategie
Thailands Premier Anutin Charnvirakul ignorierte den Friedensaufruf demonstrativ. Rojanaphruk analysiert dieses Verhalten als kalkulierte Wahlkampfstrategie: Der Premier gewinnt derzeit schnell an Popularität, indem er sich als Führer präsentiert, der zu Trump „Nein“ sagen kann – zumindest solange Trump mit anderen globalen Krisen wie China-Taiwan, Venezuela, Russland-Ukraine und Israel-Palästina beschäftigt ist.
Der Krieg mit Kambodscha im Jahr 2025 ist kein isoliertes Ereignis, sondern erweckt schulisch indoktrinierte Erinnerungen zum Leben – von Thailands Verlust der Autorität über Kambodscha an Frankreich 1867 bis zum ICJ-Urteil von 1962 über den umstrittenen Preah Vihear-Tempel.
Der Mythos von Phraya Lawek entlarvt
„Diese Schlacht gleicht einer Wiederholung“, schreibt Rojanaphruk, „geprägt von kollektiven thailändischen Erinnerungen, die bis zur Phraya Lawek-Ära zurückreichen.“ Die königliche Chronik von Ayutthaya behauptet, die Belagerung von Lovek und Phraya Laweks Hinrichtung hätten 1593 stattgefunden – vor 432 Jahren.
Wenn Mythos auf Fakten trifft
Hier entlarvt Rojanaphruk die nationalistische Geschichtsfälschung: Während thailändische Schulbücher Phraya Lawek als „rebellischen und verräterischen Khmer-König“ darstellen, belegen akademische Quellen sowie kambodschanische und spanische Chroniken, dass er tatsächlich vor dem Fall der Stadt 1594 entkommen konnte.
Rojanaphruk schließt seine Analyse mit der ernüchternden Feststellung, dass die Stille der thailändischen Zivilgesellschaft Symptom einer systematischen nationalistischen Indoktrination ist, die historische Fakten zugunsten einer heroischen Nationalerzählung verdreht und damit den Boden für aktuelle Konflikte bereitet.




Gut, dass das ein Thailänder geschrieben hat.