Thailand: Hassliebe auf Dauerurlaub

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Thailand – für viele das Traumziel: warm, günstig, locker. Für andere: ein Albtraum auf Zeit. Besonders für eine ganz spezielle Sorte Deutscher, die sich hier dauerhaft niedergelassen hat. Man erkennt sie sofort – nicht nur am ausgewaschenen Bayern-Trikot, sondern vor allem am Tonfall. Grantig, schroff, genervt. Ihr Lieblingssatz? „Früher war alles besser – selbst Thailand.“ Und trotzdem bleiben sie. Jahr für Jahr. Obwohl sie angeblich alles hier zum Kotzen finden.

Nie zurück, nie wieder

Sie reden oft davon, wie schlecht alles läuft – Korruption, Straßenverkehr, Müll, Behördenwillkür, Visa-Irrsinn, sogar das Wetter. Man fragt sich: Warum tut sich das jemand freiwillig an? Noch absurder: Viele haben seit Jahren keinen Fuß mehr nach Deutschland gesetzt. Reisen? Zu anstrengend. Zurück? Viel zu kalt und teuer. Sie sitzen fest in ihrer Sonne-Schatten-Welt, zwischen Pad Thai und Paranoia, und trinken sich die Wut am Chang-Tower klein. Heimflug? Nur noch theoretisch.

Kein Geld, keine Rückfahrkarte

Ein bitterer Grund für das Festkleben im Tropenparadies: Das liebe Geld. Manche haben sich die Rente hier schöner gerechnet, als sie ist. Sie kamen mit 80.000 oder 100.000 Euro, verkauften Haus, Auto und alte Erinnerungen. Dachten: Davon lebe ich locker zehn Jahre – vielleicht mit einer netten Thai-Freundin an der Seite. Heute reicht’s manchmal nicht mal für den Zahnarztbesuch. Zurück nach Deutschland? Unbezahlbar. So bleibt nur das Jammern, als Ersatz für echte Perspektive.

Meckern als Lebensmodell

Die Mecker-Mentalität hat in Thailand Hochkonjunktur. Während andere Rentner morgens Golf spielen oder den Sonnenaufgang genießen, trifft sich der nörgelnde Expat am Stammtisch in Pattaya, Chiang Mai oder Hua Hin. Themen? Visaverlängerung, die angeblich „unhöflichen Thais“, neue Rauchverbote oder „die Abzocke beim Stromzähler“. Der deutsche Frustbürger lebt weiter – nur im Sand statt im Schrebergarten. Sein Weltbild ist klar: Schuld sind immer die anderen. Thailand? Unverbesserlich.

Zwischen Freiheit und Verlorenheit

Trotz aller Wut gibt es auch Gründe fürs Bleiben – viele, die kaum einer offen zugibt. Hier fragt keiner nach dem Lebenslauf, keiner kontrolliert deinen Lebensstil. In Thailand darf man einfach existieren, ohne sich ständig erklären zu müssen. Keine Schwiegermutter, keine GEZ, kein Bußgeldbescheid wegen 5 km/h zu schnell. Das hat was. Die Widersprüchlichkeit ist Teil des Deals: Man motzt, aber man genießt trotzdem. Vielleicht gerade deswegen.

YouTube, Bier und Bitterkeit

Besonders bitter wird’s, wenn das soziale Leben sich auf Online-Gruppen beschränkt. In Foren und Facebook-Gruppen brüllen sich Frust-Expats gegenseitig nieder: „Thailand ist im Eimer!“ – „Du hast doch keine Ahnung, du bist erst 5 Jahre hier!“ Das digitale Jammern ersetzt echte Kontakte. Abends läuft dann deutsches Privatfernsehen über die Satellitenschüssel, während draußen das Leben vorbeizieht. Der Fernseher ist oft das letzte Fenster in eine Heimat, die sie eigentlich gar nicht mehr wollen.

Ich bleib, weil ich kann

Manche sagen offen: „Klar reg ich mich auf. Aber wo soll ich denn sonst hin?“ Es ist diese Mischung aus Trägheit, Pragmatismus und ungesunder Romantik, die sie hierhält. Thailand ist eben auch: Günstig, warm, unkompliziert. Du brauchst kein Smoking, keine Versicherung und keinen Terminplaner. Du kannst jeden Tag neu entscheiden, ob du an den Strand gehst oder einfach gar nix machst. Für viele ist das mehr wert als eine perfekte Infrastruktur.

Ein Spiegel deutscher Eigenarten

Vielleicht ist Thailand gar nicht das Problem. Vielleicht zeigt das Land nur, was manche schon lange mit sich rumschleppen: Unzufriedenheit, Enttäuschung, ein verlorenes Zugehörigkeitsgefühl. Thailand ist dabei nicht Fluchtort, sondern Bühne. Hier kann man sich aufregen, ohne Konsequenzen. Jammern, ohne dass jemand widerspricht. Es ist wie ein Theaterstück, in dem man selbst Hauptrolle spielt – jeden Tag. Applaus? Fehlanzeige. Aber das Bier ist kalt. Meistens jedenfalls.

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