Bangkok-Protest endet friedlich

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Bangkok erlebte am Samstagabend eine der größten Demonstrationen der vergangenen Monate – mit einem bemerkenswerten Unterschied: Die rund 20.000 Demonstranten verließen das Protestgelände noch in der Nacht. Kein Camp, keine Eskalation – aber ein deutliches Zeichen politischer Unzufriedenheit. Die Organisatoren wählten das zentrale Victory Monument als Bühne für ihre Anklagen gegen Premierministerin Paetongtarn Shinawatra.

Die politische Botschaft war klar und vielschichtig. Auf der Bühne wechselten sich bekannte Figuren aus beiden politischen Lagern ab: Jatuporn Prompan, ein ehemaliger Anführer der Rothemden, und Sondhi Limthongkul, einst Symbolfigur der Gelbhemden, vereint in der Kritik an der aktuellen Regierung. Die Protestierenden riefen die Koalitionspartner der Regierung offen zum Bruch mit der Pheu-Thai-Partei auf.

Polizei zwischen Deeskalation und Kontrolle – Sicherheit als politische Gratwanderung

Die Polizei zeigte sich präsent, aber zurückhaltend. Mehr als 2.000 Beamte, darunter Einheiten mit Sprengstoffspürhunden und verdeckt arbeitende Kräfte, wurden entlang des Veranstaltungsortes postiert. Pol. Lt. Gen. Siam Boonsom lobte die Kooperation mit den Organisatoren und sprach von einem „geordneten Ablauf ohne größere Zwischenfälle“.

Verkehrsbehinderungen waren nicht zu vermeiden, wurden aber frühzeitig angekündigt und professionell gesteuert. Es war ein Balanceakt zwischen Versammlungsfreiheit und öffentlicher Ordnung, den die Behörden mit einer bemerkenswerten Ruhe bewältigten. Im Hintergrund blieb jedoch stets die Sorge vor einer möglichen Eskalation präsent – nicht zuletzt wegen der brisanten Themen, die auf der Bühne angesprochen wurden.

Ein zentrales Thema: Der Fall Thaksin – Schatten eines alten Systems

Besonders explosiv war der Beitrag von Jatuporn Prompan, der auf eine angeblich existierende Tonaufnahme verwies, die Thaksin Shinawatra in einem möglicherweise strafrechtlich relevanten Zusammenhang zeigen könnte. Das Thema lèse-majesté, in Thailand ein hochsensibles Terrain, verlieh der Rede eine politische Schärfe, die das Publikum elektrisierte.

Die Botschaft: Sollte das Material öffentlich werden, müsse Thaksin „das Land verlassen“. Ein Satz, der nicht nur als Warnung, sondern als strategisches Signal an alle politischen Kräfte zu verstehen ist. Der alte Machtapparat, so die unterschwellige Aussage, sei keineswegs erledigt – im Gegenteil, er operiere noch im Verborgenen.

Nitithorns Generalabrechnung – 90 Jahre Staatsversagen?

Mit juristischer Präzision und ideologischem Pathos präsentierte “Lawyer Nokhao” Nitithorn Lamluea eine schonungslose Analyse thailändischer Staatsversagen. Seine These: Seit dem Ende der absoluten Monarchie 1932 habe sich kein einziger Regierungsstil – weder demokratisch noch autoritär – als tragfähig erwiesen.

Er attackierte Legislative, Exekutive und Judikative gleichermaßen. Korruption, Klientelismus, moralischer Verfall und ein fehlender Respekt vor dem Gesetz – all das habe Thailand in eine Krise geführt, die sämtliche gesellschaftlichen Bereiche erfasse. Besonders kritisch: Der Vorwurf, die aktuelle Regierung stehe unter ausländischem Einfluss und habe damit gegen die nationale Souveränität verstoßen.

Die Shinawatra-Debatte eskaliert – Souveränitätsfrage wird zum Machtspiel

Die Protestbewegung zielt auf das Zentrum der Macht: Paetongtarn Shinawatra wird nicht nur als unfähig, sondern als Gefahr für die nationale Integrität dargestellt. Die Vorwürfe reichen bis zu Artikelverstößen in der Verfassung und dem Strafgesetzbuch. Der Vorwurf: Kollaboration mit „Feinden des Staates“.

Ein besonders heikler Punkt war der bekannt gewordene Telefonanruf mit dem kambodschanischen Premier Hun Sen am 15. Juni. In der Öffentlichkeit sorgte das für Empörung – nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen des außenpolitischen Signals. Dass Hun Sen daraufhin hämische Kommentare zur Lage in Thailand abgab, wurde als symbolische Demütigung empfunden.

Die Rückkehr des Sondhi Limthongkul – ein letzter Appell?

Nach 17 Jahren politischer Stille trat der Altveteran Sondhi Limthongkul wieder auf die Bühne. Seine Rede war ein Rundumschlag gegen die wirtschaftliche Lage und die politische Elite. Er sprach von einem drohenden Staatsbankrott der armen Bevölkerung, während die Reichen vom System geschützt würden.

Besonders aufhorchen ließ sein Vorschlag an die Armee: Sollte es zu einem Umsturz kommen, solle kein General mehr die Macht übernehmen, sondern ein ziviles Übergangsteam. Das war nicht nur ein Aufruf zur Reform, sondern eine direkte Mahnung an die militärischen Entscheidungsträger – und eine präventive Abgrenzung gegenüber einem neuen Putsch.

Eskalation oder Erosion – der schwelende Druck vor dem Verfassungsgerichtsurteil

Alle Beobachter blicken nun auf den 1. Juli, wenn das Verfassungsgericht über die Zukunft von Premierministerin Paetongtarn entscheiden wird. Die politische Landschaft ist polarisiert, die Opposition wittert Morgenluft. Sollte das Urteil gegen die Regierung ausfallen, könnte dies das Ende ihrer Amtszeit und Neuwahlen zur Folge haben.

Die Protestbewegung kündigte an, im Falle eines neutralen oder pro-regierungstreuen Urteils den Druck weiter zu erhöhen. Künftig sollen die Demonstrationen dauerhaft und kontinuierlich fortgeführt werden. Es formiert sich eine Art außerparlamentarische Daueropposition – ein Zustand, den Thailand zuletzt 2020 erlebte.

Zwischen Reformhoffnung und Putschfurcht – die fragile Ordnung wankt

Trotz aller Anspannung blieb der Protest am Samstag weitgehend friedlich. Die Sicherheitsbehörden zeigten sich professionell, vorbereitet und wachsam. Kleinere Zwischenfälle – wie die Sicherstellung von Waffen bei Eingangskontrollen – blieben die Ausnahme. Die Polizei vermied jede Form von Provokation, wohl auch, um internationale Aufmerksamkeit nicht negativ zu stimulieren.

Die Premierministerin selbst gab sich betont gelassen. Bei einem kurzen Statement am Flughafen Don Mueang erklärte sie, sie sei offen für den Dialog mit friedlichen Demonstranten. Doch das reicht den Protestführern nicht mehr. Die Forderung ist eindeutig: Rücktritt, Koalitionsbruch, Neuwahlen. Wie tragfähig diese Regierung noch ist, entscheidet sich nicht nur im Gerichtssaal – sondern auch auf der Straße.

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