Tod einer Lehrerin: Bildungssystem in Thailand unmenschlich?

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Abschied in Verzweiflung

Ein Artikel von Kilian Borchert

Der tragische Suizid einer 39-jährigen Englischlehrerin aus Buriram erschüttert ganz Thailand. Anussara Chuanram, Lehrerin an der Ban Bu Nong Tao Schule, wurde am Montag (16. Juni) tot aufgefunden. Sie hatte sich erhängt. Neben ihrem leblosen Körper lag ein handgeschriebener Brief – ein erschütterndes Dokument der Überforderung, der Einsamkeit und der systemischen Gleichgültigkeit.

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„Die Zusatzaufgaben wurden zu kompliziert für mich, nicht nur wegen meiner Fähigkeiten, sondern weil das System ineffizient und chaotisch ist.“
Mit diesen Worten beginnt ein Abschiedsbrief, der das Bildungsministerium ins Mark treffen sollte. Doch wird es endlich reagieren?

Kein Platz für Menschlichkeit

Anussara war nicht nur Lehrerin – sie war auch Buchhalterin, Verwaltungshelferin, Finanzverwalterin. Die Anforderungen an sie gingen weit über das Unterrichten hinaus. Immer wieder wurde sie gebeten, Bargeld für die Schule vorzustrecken. Doch oft fehlten danach die nötigen Belege.
„Es war zu stressig. Ich hatte fast täglich Migräne.“
Diese Worte zeigen: Hier ging es nicht mehr um Beruf, sondern ums nackte Überleben im System.

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Zurück bleibt eine zehnjährige Tochter. Und eine Schule, deren Leitung offenbar wegsah – oder weggesehen hat.

Ein bekanntes, ignoriertes Problem

Der Fall von Anussara ist kein Einzelfall. Lehrerinnen und Lehrer, besonders in kleinen bis mittelgroßen Schulen, tragen seit Jahren eine kaum tragbare Last. Neben Unterricht werden ihnen Aufgaben in Finanzen, Buchhaltung, Einkauf und Verwaltung zugeschoben – meist ohne Schulung, ohne Anleitung, ohne Schutz.

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Eine Lehrerin berichtet anonym:
„Ich muss Rechnungen bezahlen, Lieferanten treffen, Steuerdokumente ausfüllen. Wenn etwas schiefgeht, bin ich allein verantwortlich.“
Der nächste Bankautomat? 50 Kilometer entfernt. Hilfe? Keine.

Ein Studium der Equitable Education Fund zeigt: Im Durchschnitt verbringen Lehrkräfte 83 von 200 Arbeitstagen mit Aufgaben, die nichts mit Lehren zu tun haben. Fast 95 % arbeiten regelmäßig mehr als acht Stunden täglich.

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Der Weg in den Tod ist systemisch

Laut Tanawat Suwannapan, Berater des Bildungsausschusses im Parlament, wurde das Problem durch eine Bildungsreform im Jahr 1999 verschärft. Damals wurde die Position der „administrativen Lehrkraft“ abgeschafft – angeblich, weil sie keine Karrierechancen bot.

Seitdem lastet die Verwaltung auf den Schultern der Jüngsten. Denn diese wagen am wenigsten zu widersprechen. „Junge Lehrer melden direkt an die Schulleitung. Da ist es leicht, ihnen alles aufzuhalsen.“

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Die Folge: Ein autoritäres Klima, das nicht nur Lehrer bricht, sondern auch Schülern schadet.

Der Preis: Ein Leben

„Bitte belastet keine anderen Lehrer so wie mich.“
Mit dieser letzten Bitte endet Anussaras Brief. Sie hätte nicht sterben müssen. Aber niemand hörte ihr zu. Bis jetzt.

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Das Büro der Kommission für Grundschulbildung (OBEC) hat eine Untersuchung eingeleitet. Doch viele fragen: Warum musste erst ein Mensch sterben, um aufzuwachen?

„Es gibt über 30.000 Schulen in Thailand. Warum war ausgerechnet hier der Druck so groß, dass eine Lehrerin starb?“ – fragt OBEC-Generalsekretär Thanu Wongchinda.

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Forderungen nach echter Reform

Die Bildungsinitiative „Kor Kan Kru“ der Thammasat-Universität fordert nun ein Ende des Schweigens. In einem offenen Appell verlangt sie:

  • Eine faire und vollständige Untersuchung
  • Ein transparentes System zur Schulverwaltung
  • Die sofortige Abschaffung von Finanzaufgaben für Lehrkräfte
  • Die Rückkehr administrativer Fachkräfte in Schulen
  • Schulungen für Führungskräfte und Lehrer
  • Zugang zu psychologischer Betreuung – ohne Stigmatisierung

„Sorgt dafür, dass Lehrer Hilfe bekommen, ohne sich dafür schämen zu müssen.“

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OBEC hat angekündigt, die Verwaltung kleiner Schulen zu vereinfachen. Auch Online-Systeme sollen verbessert werden, um Zeit zu sparen. Doch viele fragen sich: Reicht das?

Der Mensch muss wieder im Mittelpunkt stehen

Sopon Sarum, Vorsitzender des Bildungsausschusses, bringt es auf den Punkt:
„Lehrer brauchen Anerkennung, wenn sie Gutes tun – und Hilfe, wenn sie leiden.“

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Das Bildungssystem darf keine Maschine sein, die Menschen zermalmt. Thailand braucht eine neue Bildungspolitik – eine, die nicht Organisationen dient, sondern Menschen schützt.

Denn kein Beruf darf tödlich sein.

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